Page - 145 - in Amerika
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die erste Querstraße besonders eilig zu passieren, da sah er nicht allzu weit
vor sich einen Polizeimann, lauernd an die dunkle Mauer eines im Schatten
liegenden Hauses gedrückt, bereit, im richtigen Augenblick auf Karl
loszuspringen. Jetzt blieb keine Hilfe als die Quergasse, und als er gar aus
dieser Gasse ganz harmlos beim Namen gerufen wurde – es schien ihm zwar
zuerst eine Täuschung zu sein, denn ein Sausen hatte er schon die ganze Zeit
lang in den Ohren –, zögerte er nicht mehr länger und bog, um die
Polizeileute möglichst zu überraschen, auf einem Fuß sich schwenkend,
rechtwinklig in diese Gasse ein.
Kaum war er zwei Sprünge weit gekommen – daß man seinen Namen
gerufen hatte, hatte er schon wieder vergessen, nun pfiff auch der zweite
Polizeimann, man merkte seine unverbrauchte Kraft, ferne Passanten in dieser
Querstraße schienen eine raschere Gangart anzunehmen –, da griff aus einer
kleinen Haustüre eine Hand nach Karl und zog ihn mit den Worten »Still
sein!« in einen dunklen Flur. Es war Delamarche, ganz außer Atem, mit
erhitzten Wangen, seine Haare klebten ihm rings um den Kopf. Den
Schlafrock trug er unter dem Arm und war nur mit Hemd und Unterhose
bekleidet. Die Türe, welche nicht das eigentliche Haustor war, sondern nur
einen unscheinbaren Nebeneingang bildete, hatte er gleich geschlossen und
versperrt.
»Einen Augenblick«, sagte er dann, lehnte sich mit hochgehaltenem Kopf
an die Wand und atmete schwer. Karl lag fast in seinen Armen und drückte
halb besinnungslos das Gesicht an seine Brust.
»Da laufen die Herren«, sagte Delamarche und streckte den Finger
aufhorchend gegen die Tür. Wirklich liefen jetzt die zwei Polizeileute vorbei,
ihr Laufen klang in der leeren Gasse, wie wenn Stahl gegen Stein geschlagen
wird.
»Du bist aber ordentlich hergenommen«, sagte Delamarche zu Karl, der
noch immer an seinem Atem würgte und kein Wort herausbringen konnte.
Delamarche setzte ihn vorsichtig auf den Boden, kniete neben ihm nieder,
strich ihm mehrmals über die Stirn und beobachtete ihn.
»Jetzt geht es schon«, sagte Karl und stand mühsam auf.
»Dann also los«, sagte Delamarche, der seinen Schlafrock wieder
angezogen hatte, und schob Karl, der noch vor Schwäche den Kopf gesenkt
hielt, vor sich her. Von Zeit zu Zeit schüttelte er Karl, um ihn frischer zu
machen.
»Du willst müde sein?« sagte er. »Du konntest doch im Freien laufen wie
ein Pferd, ich aber mußte hier durch die verfluchten Gänge und Höfe
schleichen. Glücklicherweise bin ich aber auch ein Läufer.« Vor Stolz gab er
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik