Page - 146 - in Amerika
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Karl einen weit ausgeholten Schlag auf den Rücken. »Von Zeit zu Zeit ist ein
solches Wettrennen mit der Polizei eine gute Übung.«
»Ich war schon müde, wie ich zu laufen anfing«, sagte Karl.
»Für schlechtes Laufen gibt es keine Entschuldigung«, sagte Delamarche.
»Wenn ich nicht wäre, hätten sie dich schon längst gefaßt.«
»Ich glaube auch«, sagte Karl. »Ich bin Ihnen sehr verpflichtet.«
»Kein Zweifel«, sagte Delamarche.
Sie gingen durch einen langen, schmalen Flurgang, der mit dunklen, glatten
Steinen gepflastert war. Hie und da öffnete sich rechts oder links ein
Treppenaufgang oder man erhielt einen Durchblick in einen anderen,
größeren Flur. Erwachsene waren kaum zu sehen, nur Kinder spielten auf den
leeren Treppen. An einem Geländer stand ein kleines Mädchen und weinte,
daß ihr vor Tränen das ganze Gesicht glänzte. Kaum hatte sie Delamarche
bemerkt, als sie, mit offenem Munde nach Luft schnappend, die Treppe
hinauflief und sich erst hoch oben beruhigte, als sie nach häufigem Umdrehen
sich überzeugt hatte, daß ihr niemand folge oder folgen wolle.
»Die habe ich vor einem Augenblick niedergerannt«, sagte Delamarche
lachend und drohte ihr mit der Faust, worauf sie schreiend weiter hinauflief.
Auch die Höfe, durch die sie kamen, waren fast gänzlich verlassen. Nur hie
und da schob ein Geschäftsdiener einen zweirädrigen Karren vor sich her,
eine Frau füllte an der Pumpe eine Kanne mit Wasser, ein Briefträger
durchquerte mit ruhigen Schritten den ganzen Hof, ein alter Mann mit
weißem Schnauzbart saß mit übergeschlagenen Beinen vor einer Glastür und
rauchte eine Pfeife, vor einem Speditionsgeschäft wurden Kisten abgeladen,
die unbeschäftigten Pferde drehten gleichmütig die Köpfe, ein Mann in einem
Arbeitsmantel überwachte mit einem Papier in der Hand die ganze Arbeit; in
einem Büro war das Fenster geöffnet, und ein Angestellter, der an seinem
Schreibpult saß, hatte sich von ihm abgewendet und sah nachdenklich hinaus,
wo gerade Karl und Delamarche vorübergingen.
»Eine ruhigere Gegend kann man sich gar nicht wünschen«, sagte
Delamarche. »Am Abend ist ein paar Stunden lang großer Lärm, aber
während des Tages geht es hier musterhaft zu.«
Karl nickte, ihm schien die Ruhe zu groß zu sein. »Ich könnte gar nicht
anderswo wohnen«, sagte Delamarche, »denn Brunelda verträgt absolut
keinen Lärm. Kennst du Brunelda? Nun, du wirst sie ja sehen. Jedenfalls
empfehle ich dir, dich möglichst still aufzuführen.«
Als sie zu der Treppe kamen, die zur Wohnung Delamarches führte, war
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik