Page - 148 - in Amerika
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wischten die Hände an ihren Schürzen rein, sahen auf Delamarche und
Robinson und schienen sich über sie zu unterhalten. Aus einer Tür sprang ein
noch ganz junges Mädchen mit glänzendem blondem Haar und schmiegte
sich zwischen die zwei Frauen, indem es sich in ihre Arme einhängte.
»Das sind widerliche Weiber«, sagte Delamarche leise, aber offenbar nur
aus Rücksicht auf die schlafende Brunelda, »nächstens werde ich sie bei der
Polizei anzeigen und werde für Jahre Ruhe vor ihnen haben. Schau nicht hin«,
zischte er dann Karl an, der nichts Böses daran gefunden hatte, die Frauen
anzuschauen, wenn man nun schon einmal auf dem Gang auf das Erwachen
Bruneldas warten mußte. Und ärgerlich schüttelte er den Kopf, als habe er
von Delamarche keine Ermahnungen anzunehmen, und wollte, um dies noch
deutlicher zu zeigen, auf die Frauen zugehen, da hielt ihn aber Robinson mit
den Worten »Roßmann, hüte dich!« am Ärmel zurück, und Delamarche,
schon durch Karl gereizt, wurde über ein lautes Auflachen des Mädchens so
wütend, daß er mit großem Anlauf, Arme und Beine werfend, auf die Frauen
zueilte, die jede in ihre Türe wie weggeweht verschwanden.
»So muß ich hier öfters die Gänge reinigen«, sagte Delamarche, als er mit
langsamen Schritten zurückkehrte; da erinnerte er sich an Karls Widerstand
und sagte: »Von dir aber erwarte ich ein ganz anderes Benehmen, sonst
könntest du mit mir schlechte Erfahrungen machen.«
Da rief aus dem Zimmer eine fragende Stimme in sanftem, müdem Tonfall:
»Delamarche?«
»Ja«, antwortete Delamarche und sah freundlich die Tür an, »können wir
eintreten?«
»O ja«, hieß es, und Delamarche öffnete, nachdem er noch die zwei hinter
ihm Wartenden mit einem Blick gestreift hatte, langsam die Tür.
Man trat in vollständiges Dunkel ein. Der Vorhang der Balkontür, ein
Fenster war nicht vorhanden, war bis zum Boden hinabgelassen und wenig
durchscheinend, außerdem aber trug die Überfüllung des Zimmers mit
Möbeln und herumhängenden Kleidern viel zu seiner Verdunkelung bei. Die
Luft war dumpf, und man roch geradezu den Staub, der sich hier in Winkeln,
die offenbar für jede Hand unzugänglich waren, angesammelt hatte. Das erste,
was Karl beim Eintritt bemerkte, waren drei Kasten, die knapp hintereinander
aufgestellt waren.
Auf dem Kanapee lag die Frau, die früher vom Balkon hinuntergeschaut
hatte. Ihr rotes Kleid hatte sich unten ein wenig verzogen und hing in einem
großen Zipfel bis auf den Boden, man sah ihre Beine fast bis zu den Knien,
sie trug dicke weiße Wollstrümpfe; Schuhe hatte sie keine.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik