Page - 149 - in Amerika
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»Das ist eine Hitze, Delamarche«, sagte sie, wandte das Gesicht von der
Wand, hielt ihre Hand lässig in Schwebe gegen Delamarche hin, der sie
ergriff und küßte. Karl sah nur ihr Doppelkinn an, das bei der Wendung des
Kopfes auch mitrollte.
»Soll ich den Vorhang vielleicht hinaufziehen lassen?« fragte Delamarche.
»Nur das nicht«, sagte sie mit geschlossenen Augen und wie verzweifelt,
»dann wird es ja noch ärger.«
Karl war zum Fußende des Kanapees getreten, um die Frau genauer
anzusehen, er wunderte sich über ihre Klagen, denn die Hitze war gar nicht
außerordentlich.
»Warte, ich werde es dir ein wenig bequem machen«, sagte Delamarche
ängstlich, öffnete oben am Hals ein paar Knöpfe und zog dort das Kleid
auseinander, so daß der Hals und der Ansatz der Brust frei wurde und ein
zarter, gelblicher Spitzensaum des Hemdes erschien.
»Wer ist das«, sagte die Frau plötzlich und zeigte mit dem Finger auf Karl,
»warum starrt er mich so an?«
»Du fängst bald an, dich nützlich zu machen«, sagte Delamarche und schob
Karl beiseite, während er die Frau mit den Worten beruhigte: »Es ist nur der
Junge, den ich zu deiner Bedienung mitgebracht habe.«
»Aber ich will doch niemanden haben!« rief sie. »Warum bringst du mir
fremde Leute in die Wohnung?«
»Aber die ganze Zeit wünschst du dir doch eine Bedienung«, sagte
Delamarche und kniete nieder; auf dem Kanapee war trotz seiner großen
Breite neben Brunelda nicht der geringste Platz.
»Ach, Delamarche«, sagte sie, »du verstehst mich nicht und verstehst mich
nicht.«
»Dann verstehe ich dich also wirklich nicht«, sagte Delamarche und nahm
ihr Gesicht zwischen beide Hände. »Aber es ist ja nichts geschehen, wenn du
willst, geht er augenblicklich fort.«
»Wenn er schon einmal hier ist, soll er bleiben«, sagte sie nun wieder, und
Karl war ihr in seiner Müdigkeit für diese vielleicht gar nicht freundlich
gemeinten Worte so dankbar, daß er, immer in undeutlichen Gedanken an
diese endlose Treppe, die er nun vielleicht gleich wieder hätte Abwärtssteigen
müssen, über den auf seiner Decke friedlich schlafenden Robinson hinwegtrat
und trotz allem ärgerlichen Händefuchteln Delamarches sagte: »Ich danke
Ihnen jedenfalls dafür, daß Sie mich noch ein wenig hier lassen wollen. Ich
habe wohl schon vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, dabei genug
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik