Page - 151 - in Amerika
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fremde Junge, der mich vor einem Augenblick ganz wild angeschaut hat, sich
wieder gelegt hat, um mich zu täuschen! Nur weg mit ihnen, Delamarche, sie
sind mir eine Last, sie liegen mir auf der Brust, wenn ich jetzt umkomme, ist
es ihretwegen.«
»Sofort sind sie draußen, zieh dich nur aus«, sagte Delamarche, ging zu
Robinson hin und schüttelte ihn mit dem Fuß, den er ihm auf die Brust setzte.
Gleichzeitig rief er Karl zu: »Roßmann, aufstehen! Ihr müßt beide auf den
Balkon! Und wehe euch, wenn ihr hereinkommt, ehe man euch ruft! Und jetzt
flink, Robinson« – dabei schüttelte er Robinson stärker –, »und du, Roßmann,
gib acht, daß ich nicht auch über dich komme«, dabei klatschte er laut
zweimal in die Hände.
»Wie lange das dauert!« rief Brunelda auf dem Kanapee, sie hatte beim
Sitzen die Beine weit auseinandergestellt, um ihrem übermäßig dicken Körper
mehr Raum zu verschaffen, nur mit größter Anstrengung, unter vielem
Schnappen und häufigem Ausruhen, konnte sie sich so weit bücken, um ihre
Strümpfe am obersten Ende zu fassen und ein wenig hinunterzuziehen,
gänzlich ausziehen konnte sie sich nicht, das mußte Delamarche besorgen, auf
den sie nun ungeduldig wartete.
Ganz stumpf vor Müdigkeit war Karl von dem Haufen hinuntergekrochen
und ging langsam zur Balkontüre, ein Stück Vorhangstoff hatte sich ihm um
den Fuß gewickelt, und er schleppte es gleichgültig mit. In seiner
Zerstreutheit sagte er sogar, als er an Brunelda vorüberkam: »Ich wünsche
gute Nacht« und wanderte dann an Delamarche vorbei, der den Vorhang der
Balkontüre ein wenig zurückzog, auf den Balkon hinaus. Gleich hinter Karl
kam Robinson, wohl nicht minder schläfrig, denn er summte vor sich hin:
»Immerfort malträtiert man einen! Wenn Brunelda nicht mitkommt, gehe ich
nicht auf den Balkon.« Aber trotz dieser Versicherung ging er ohne jeden
Widerstand hinaus, wo er sich, da Karl schon in den Lehnstuhl gesunken war,
sofort auf den Steinboden legte.
Als Karl erwachte, war es schon Abend, die Sterne standen schon am
Himmel, hinter den hohen Häusern der gegenüberliegenden Straßenseite stieg
der Schein des Mondes empor. Erst nach einigem Umherschauen in der
unbekannten Gegend, einigem Aufatmen in der kühlen, erfrischenden Luft
wurde sich Karl dessen bewußt, wo er war. Wie unvorsichtig war er gewesen,
alle Ratschläge der Oberköchin, alle Warnungen Theresens, alle eigenen
Befürchtungen hatte er vernachlässigt, saß hier ruhig auf dem Balkon
Delamarches und hatte hier gar den halben Tag verschlafen, als sei nicht hier
hinter dem Vorhang Delamarche, sein großer Feind. Auf dem Boden wand
sich der faule Robinson und zog Karl am Fuße, er schien ihn auch auf diese
Weise geweckt zu haben, denn er sagte: »Du hast einen Schlaf, Roßmann!
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik