Page - 153 - in Amerika
Image of the Page - 153 -
Text of the Page - 153 -
nur so wie frĂĽher auf dem Kanapee und rĂĽhrt sich nicht. FrĂĽher habe ich
öfters den Vorhang so ein wenig weggezogen und durchgeschaut, aber seit
einmal Delamarche bei einer solchen Gelegenheit – ich weiß genau, daß er es
nicht wollte, sondern es nur auf Bruneldas Bitte tat – mir mit der Peitsche
einige Male ins Gesicht geschlagen hat – siehst du die Striemen? –, wage ich
nicht mehr, durchzuschauen. Und so liege ich dann hier auf dem Balkon und
habe kein VergnĂĽgen auĂźer essen. Vorgestern, wie ich des Abends so allein
gelegen bin, damals war ich noch in meinen eleganten Kleidern, die ich leider
in deinem Hotel verloren habe – diese Hunde; reißen einem die teuren Kleider
vom Leib! –, wie ich also da so allein gelegen bin und durch das Geländer
hinuntergeschaut habe, war mir alles so traurig und ich habe zu heulen
angefangen. Da ist zufällig, ohne daß ich es gleich bemerkt habe, die
Brunelda zu mir herausgekommen in dem roten Kleid – das paßt ihr doch von
allen am besten –, hat mir ein wenig zugeschaut und hat endlich gesagt:
›Robinson, warum weinst du?‹ Dann hat sie ihr Kleid gehoben und hat mir
mit dem Saum die Augen abgewischt. Wer weiß, was sie noch getan hätte,
wenn nicht Delamarche nach ihr gerufen hätte und sie nicht sofort wieder ins
Zimmer hätte hineingehen müssen. Natürlich habe ich gedacht, jetzt sei die
Reihe an mir, und habe durch den Vorhang gefragt, ob ich schon ins Zimmer
darf. Und was, meinst du, hat die Brunelda gesagt: ›Nein!‹ hat sie gesagt, und
›Was fällt dir ein?‹ hat sie gesagt.«
»Warum bleibst du denn hier, wenn man dich so behandelt?« fragte Karl.
»Verzeih, Roßmann, du fragst nicht sehr gescheit«, antwortete Robinson.
»Du wirst schon auch noch hierbleiben, und wenn man dich noch ärger
behandelt. Übrigens behandelt man mich gar nicht so arg.«
»Nein«, sagte Karl, »Ich gehe bestimmt weg, und womöglich noch heute
abend. Ich bleibe nicht bei euch.«
»Wie willst du denn zum Beispiel das anstellen, heute abend
wegzugehen?« fragte Robinson, der das Weiche aus dem Brot
herausgeschnitten hatte und sorgfältig in dem Öl der Sardinenbüchse tränkte.
»Wie willst du weggehen, wenn du nicht einmal ins Zimmer hineingehen
darfst?«
»Warum dürfen wir denn nicht hineingehen?
»Nun, solange es nicht geläutet hat, dürfen wir nicht hineingehen«, sagte
Robinson, der mit möglichst weit geöffnetem Munde das fette Brot
verspeiste, während er mit einer Hand das vom Brot herabtropfende Öl
auffing, um von Zeit zu Zeit das noch ĂĽbrige Brot in diese als Reservoir
dienende hohle Hand zu tauchen. »Es ist hier alles strenger geworden. Zuerst
war da nur ein dĂĽnner Vorhang, man hat zwar nicht durchgesehen, aber am
153
back to the
book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik