Page - 159 - in Amerika
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daß ich nicht oft weggehen darf, ich muß immer bei der Hand sein, in der
Wirtschaft ist eben immer etwas zu tun. Eine Person ist eben zu wenig für die
viele Arbeit. Wie du vielleicht bemerkt hast, haben wir sehr viele Sachen im
Zimmer herumstehen; was wir eben bei dem großen Auszug nicht verkaufen
konnten, haben wir mitgenommen. Natürlich hätte man es wegschenken
können, aber Brunelda schenkt nichts weg. Denk dir nur, welche Arbeit es
gegeben hat, diese Sachen die Treppe heraufzutragen.«
»Robinson, du hast das alles heraufgetragen?« fragte Karl.
»Wer denn sonst?« sagte Robinson. »Es war noch ein Hilfsarbeiter da, ein
faules Luder; ich habe die meiste Arbeit allein machen müssen. Brunelda ist
unten beim Wagen gestanden, Delamarche hat oben angeordnet, wohin die
Sachen zu legen sind, und ich bin immerfort hin und her gelaufen. Es hat zwei
Tage gedauert, sehr lange, nicht wahr? Aber du weißt ja gar nicht, wieviel
Sachen hier im Zimmer sind, alle Kasten sind voll und hinter den Kasten ist
alles vollgestopft bis zur Decke hinauf. Wenn man ein paar Leute für den
Transport aufgenommen hätte, wäre ja alles bald fertig gewesen, aber
Brunelda wollte es niemandem außer mir anvertrauen. Das war ja sehr schön,
aber ich habe damals meine Gesundheit für mein ganzes Leben verdorben,
und was habe ich denn sonst gehabt als meine Gesundheit? Wenn ich mich
nur ein wenig anstrenge, sticht es mich hier und hier und hier. Glaubst du,
diese Jungen im Hotel, diese Grasfrösche – was sind sie denn sonst? –, hätten
mich jemals besiegen können, wenn ich gesund wäre? Aber was mir auch
fehlen sollte, dem Delamarche und der Brunelda sage ich kein Wort, ich
werde arbeiten, solange es gehen wird, und wenn es nicht mehr gehen wird,
werde ich mich hinlegen und sterben, und dann erst, zu spät, werden sie
sehen, daß ich krank gewesen bin und trotzdem immerfort und immerfort
weitergearbeitet und mich in ihren Diensten zu Tode gearbeitet habe. Ach,
Roßmann –«, sagte er schließlich und trocknete die Augen an Karls
Hemdärmel. Nach einem Weilchen sagte er:
»Ist dir denn nicht kalt, du stehst da so im Hemd?«
»Geh, Robinson«, sagte Karl, »immerfort weinst du. Ich glaube nicht, daß
du so krank bist. Du siehst ganz gesund aus, aber weil du immerfort da auf
dem Balkon liegst, hast du dir so verschiedenes ausgedacht. Du hast vielleicht
manchmal einen Stich in der Brust, das habe ich auch, das hat jeder. Wenn
alle Menschen wegen jeder Kleinigkeit so weinen wollten wie du, müßten die
Leute auf allen Balkonen weinen.«
»Ich weiß es besser«, sagte Robinson und wischte nun die Augen mit dem
Zipfel seiner Decke. »Der Student, der nebenan bei der Vermieterin wohnt,
die auch für uns kochte, hat mir letzthin, als ich das Eßgeschirr zurückbrachte,
gesagt: ›Hören Sie einmal, Robinson, sind Sie nicht krank?‹ Mir ist verboten,
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik