Page - 162 - in Amerika
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Handbewegungen – die Ellbogen hatte er auf das Geländer aufgestützt –, »dir
zunächst alles erklären und die Vorräte zeigen. Du bist gebildet und hast
sicher auch eine schöne Schrift, du könntest also gleich ein Verzeichnis all der
Sachen machen, die wir da haben. Das hat sich Brunelda schon längst
gewünscht. Wenn morgen vormittag schönes Wetter ist, werden wir Brunelda
bitten, daĂź sie sich auf den Balkon setzt, und inzwischen werden wir ruhig
und ohne sie zu stören im Zimmer arbeiten können. Denn darauf, Roßmann,
mußt du vor allem achtgeben. Nur nicht Brunelda stören. Sie hört alles,
wahrscheinlich hat sie als Sängerin so empfindliche Ohren. Du rollst zum
Beispiel das FaĂź mit Schnaps, das hinter dem Kasten steht, heraus, es macht
Lärm, weil es schwer ist und dort überall verschiedene Sachen herumliegen,
so daĂź man es nicht mit einem Male durchrollen kann. Brunelda liegt zum
Beispiel ruhig auf dem Kanapee und fängt Fliegen, die sie überhaupt sehr
belästigen. Du glaubst also, sie kümmert sich um dich nicht, und rollst dein
FaĂź weiter. Sie liegt noch immer ruhig. Aber in einem Augenblick, wo du es
gar nicht erwartest und wo du am wenigsten Lärm machst, setzt sie sich
plötzlich aufrecht, schlägt mit beiden Händen auf das Kanapee, daß man sie
vor Staub nicht sieht – seit wir hier sind, habe ich das Kanapee nicht
ausgeklopft; ich kann ja nicht, sie liegt doch immerfort darauf –, und fängt
schrecklich zu schreien an, wie ein Mann, und schreit so stundenlang. Das
Singen haben ihr die Nachbarn verboten, das Schreien aber kann ihr niemand
verbieten, sie muĂź schreien, ĂĽbrigens geschieht es ja jetzt nur selten, ich und
Delamarche sind sehr vorsichtig geworden. Es hat ihr ja auch sehr geschadet.
Einmal ist sie ohnmächtig geworden, und ich habe – Delamarche war gerade
weg – den Studenten von nebenan holen müssen, der hat sie aus einer großen
Flasche mit FlĂĽssigkeit bespritzt, es hat auch geholfen, aber diese FlĂĽssigkeit
hat einen unerträglichen Geruch gehabt, noch jetzt, wenn man die Nase zum
Kanapee hält, riecht man es. Der Student ist sicher unser Feind, wie alle hier,
du mußt dich auch vor allen in acht nehmen und dich mit keinem einlassen.«
»Du, Robinson«, sagte Karl, »das ist aber ein schwerer Dienst. Da hast du
mich für einen schönen Posten empfohlen.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Robinson und schüttelte mit geschlossenen
Augen den Kopf, um alle möglichen Sorgen Karls abzuwehren. »Der Posten
hat auch Vorteile, wie sie dir kein anderer Posten bieten kann. Du bist
immerfort in der Nähe einer Dame wie Brunelda, du schläfst manchmal mit
ihr im gleichen Zimmer, das bringt schon, wie du dir denken kannst,
verschiedene Annehmlichkeiten mit sich. Du wirst reichlich bezahlt werden,
Geld ist in Menge da, ich habe als Freund Delamarches nichts bekommen; nur
wenn ich ausgegangen bin, hat mir Brunelda immer etwas mitgegeben, aber
du wirst natĂĽrlich bezahlt werden wie ein anderer Diener. Du bist ja auch
nichts anderes. Das Wichtigste fĂĽr dich aber ist, daĂź ich dir den Posten sehr
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik