Page - 170 - in Amerika
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Kandidaten zu verstĂ€rken versucht hatten, hatten nun MĂŒhe, sich in seiner
NÀhe zu erhalten, wohl zwanzig hielten sich mit aller Anstrengung am TrÀger
fest. Aber selbst dieser starke Mann konnte keinen Schritt nach seinem Willen
mehr machen, an eine EinfluĂnahme auf die Menge durch bestimmte
Wendungen oder durch passendes VorrĂŒcken oder ZurĂŒckweichen war nicht
mehr zu denken. Die Menge flutete ohne Plan, einer lag am anderen, keiner
stand mehr aufrecht, die Gegner schienen sich durch neues Publikum sehr
vermehrt zu haben, der TrĂ€ger hatte sich lange in der NĂ€he der GasthaustĂŒre
gehalten, nun aber lieĂ er sich, scheinbar ohne Widerstand, die Gasse auf- und
abwÀrts treiben, der Kandidat redete immerfort, aber es war nicht mehr ganz
klar, ob er sein Programm auseinanderlegte oder um Hilfe rief; wenn nicht
alles tÀuschte, hatte sich auch ein Gegenkandidat eingefunden oder gar
mehrere, denn hie und da sah man in irgendeinem plötzlich aufflammenden
Licht einen von der Menge emporgehobenen Mann mit bleichem Gesicht und
geballten FĂ€usten eine von vielstimmigen Rufen begrĂŒĂte Rede halten.
»Was geschieht denn da?« fragte Karl und wandte sich in atemloser
Verwirrung an seine WĂ€chter.
»Wie es den Kleinen aufregt!« sagte Brunelda zu Delamarche und faĂte
Karl am Kinn, um seinen Kopf an sich zu ziehen. Aber das hatte Karl nicht
wollen und er schĂŒttelte sich, durch die VorgĂ€nge auf der StraĂe förmlich
rĂŒcksichtslos gemacht, so stark, daĂ Brunelda ihn nicht nur loslieĂ, sondern
zurĂŒckwich und ihn gĂ€nzlich freigab.»Jetzt hast du genug gesehen«, sagte sie,
offenbar durch Karls Benehmen böse gemacht, »geh ins Zimmer, bette auf
und bereite alles fĂŒr die Nacht vor.« Sie streckte die Hand nach dem Zimmer
aus. Das war ja die Richtung, die Karl schon seit einigen Stunden nehmen
wollte, er widersprach mit keinem Wort. Da hörte man von der Gasse her das
Krachen von viel zersplitterndem Glas. Karl konnte sich nicht bezwingen und
sprang noch rasch zum GelĂ€nder, um flĂŒchtig noch einmal
hinunterzuschauen. Ein Anschlag der Gegner, und vielleicht ein
entscheidender, war geglĂŒckt, die Automobillaternen der AnhĂ€nger, die mit
ihrem starken Licht wenigstens die HauptvorgÀnge vor der gesamten
Ăffentlichkeit geschehen lieĂen und dadurch alles in gewissen Grenzen
gehalten hatten, waren sÀmtlich und gleichzeitig zerschmettert worden, den
Kandidaten und seinen TrÀger umfing nun die gemeinsame unsichere
Beleuchtung, die in ihrer plötzlichen Ausbreitung wie völlige Finsternis
wirkte. Auch nicht beilÀufig hÀtte man jetzt angeben können, wo sich der
Kandidat befand, und das TĂ€uschende des Dunkels wurde noch vermehrt
durch einen gerade einsetzenden, breiten, einheitlichen Gesang, der von
unten, von der BrĂŒcke her sich nĂ€herte.
»Habe ich dir nicht gesagt, was du jetzt zu tun hast!« sagte Brunelda.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, ErzÀhlung
- Categories
- Weiteres Belletristik