Page - 171 - in Amerika
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»Beeile dich. Ich bin müde«, fügte sie hinzu und streckte dann die Arme in
die Höhe, so daß sich ihre Brust noch viel mehr wölbte als gewöhnlich.
Delamarche, der sie noch immer umfaßt hielt, zog sie mit sich in eine Ecke
des Balkons. Robinson ging ihnen nach, um die Überbleibsel seines Essens,
die noch dort lagen, beiseitezuschieben.
Diese günstige Gelegenheit mußte Karl ausnutzen, jetzt war keine Zeit
hinunterzuschauen, von den Vorgängen auf der Straße würde er unten noch
genug sehen, und mehr als von hier oben. In zwei Sprüngen eilte er durch das
rötlich beleuchtete Zimmer, aber die Tür war verschlossen und der Schlüssel
abgezogen. Der mußte jetzt gefunden werden, aber wer wollte in dieser
Unordnung einen Schlüssel finden und gar in der kurzen, kostbaren Zeit, die
Karl zur Verfügung stand! Jetzt hätte er schon eigentlich auf der Treppe sein,
hätte laufen und laufen sollen. Und nun suchte er den Schlüssel! Suchte ihn in
allen zugänglichen Schubladen, stöberte auf dem Tisch herum, wo
verschiedenes Eßgeschirr, Servietten und irgendeine angefangene Stickerei
herumlagen, wurde durch einen Lehnstuhl angelockt, auf dem ein ganz
verfitzter Haufen alter Kleidungsstücke sich befand, in denen der Schlüssel
sich möglicherweise befinden, aber niemals aufgefunden werden konnte, und
warf sich schließlich auf das tatsächlich übelriechende Kanapee, um in allen
Ecken und Falten nach dem Schlüssel zu tasten. Dann ließ er vom Suchen ab
und stockte in der Mitte des Zimmers. Gewiß hatte Brunelda den Schlüssel an
ihrem Gürtel befestigt, sagte er sich, dort hingen ja so viele Sachen, alles
Suchen war umsonst.
Und blindlings ergriff Karl zwei Messer und bohrte sie zwischen die
Türflügel, eines oben, eines unten, um zwei voneinander entfernte
Angriffspunkte zu erhalten. Kaum hatte er an den Messern gezogen, brachen
natürlich die Klingen entzwei. Er hatte nichts anderes wollen, die Stümpfe,
die er nun fester einbohren konnte, würden desto besser halten. Und nun zog
er mit aller Kraft, die Arme weit ausgebreitet, die Beine weit auseinander
gestemmt stöhnend und dabei genau auf die Tür aufpassend. Sie würde nicht
auf die Dauer widerstehen können, das erkannte er mit Freuden aus dem
deutlich hörbaren Sichlockern der Riegel, je langsamer es aber ging, desto
richtiger war es, aufspringen durfte ja das Schloß gar nicht, sonst würde man
ja auf dem Balkon aufmerksam werden, das Schloß mußte sich vielmehr ganz
langsam voneinanderlösen, und darauf arbeitete Karl mit größter Vorsicht hin,
die Augen immer mehr dem Schlosse nähernd.
»Seht einmal«, hörte er da die Stimme des Delamarche. Alle drei standen
im Zimmer, der Vorhang war hinter ihnen schon zugezogen, Karl mußte ihr
Kommen überhört haben, die Hände sanken ihm bei dem Anblick von den
Messern herab. Aber er hatte gar nicht Zeit, irgendein Wort zur Erklärung
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik