Page - 174 - in Amerika
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sie war ganz still, aus dem Gasthaus klang noch die Musik, aber nur
gedämpft, hervor, vor der Tür kehrte ein Mann das Trottoir, in der Gasse, in
der am Abend innerhalb des wüsten allgemeinen Lärms das Schreien eines
Wahlkandidaten von tausend anderen Stimmen nicht hatte unterschieden
werden können, hörte man nun deutlich das Kratzen des Besens auf dem
Pflaster.
Das Rücken eines Tisches auf dem Nachbarbalkon machte Karl
aufmerksam, dort saß ja jemand und studierte. Es war ein junger Mann mit
einem kleinen Spitzbart, an dem er beim Lesen, das er mit raschen
Lippenbewegungen begleitete, ständig drehte. Er saß, das Gesicht Karl
zugewendet, an einem kleinen, mit Büchern bedeckten Tisch, die Glühlampe
hatte er von der Mauer abgenommen, zwischen zwei große Bücher geklemmt,
und war nun von ihrem grellen Licht ganz überleuchtet.
»Guten Abend«, sagte Karl, da er bemerkt zu haben glaubte, daß der junge
Mann zu ihm herübergeschaut hätte.
Aber das mußte wohl ein Irrtum gewesen sein, denn der junge Mann schien
ihn überhaupt noch nicht bemerkt zu haben, legte die Hand über die Augen,
um das Licht abzublenden und festzustellen, wer da plötzlich grüßte, und hob
dann, da er noch immer nichts sah, die Glühlampe hoch, um mit ihr auch den
Nachbarbalkon ein wenig zu beleuchten.
»Guten Abend«, sagte dann auch er, blickte einen Augenblick lang scharf
hinüber und fügte dann hinzu: »Und was weiter?«
»Ich störe Sie?« fragte Karl.
»Gewiß, gewiß«, sagte der Mann und brachte die Glühlampe wieder an
ihren früheren Ort.
Mit diesen Worten war allerdings jede Anknüpfung abgelehnt, aber Karl
verließ trotzdem die Balkonecke, in der er dem Manne am nächsten war,
nicht. Stumm sah er zu, wie der Mann in seinem Buche las, die Blätter
wendete, hie und da in einem anderen Buche, das er immer mit
Blitzesschnelle ergriff, irgend etwas nachschlug und öfters Notizen in ein Heft
eintrug, wobei er immer überraschend tief das Gesicht zu dem Hefte senkte.
Ob dieser Mann vielleicht ein Student war? Es sah ganz so aus, als ob er
studierte. Nicht viel anders – jetzt war es schon lange her – war Karl zu Hause
am Tisch der Eltern gesessen und hatte seine Aufgaben geschrieben, während
der Vater die Zeitung las oder Bucheintragungen und Korrespondenzen für
einen Verein erledigte und die Mutter mit einer Näharbeit beschäftigt war und
hoch den Faden aus dem Stoffe zog. Um den Vater nicht zu belästigen, hatte
Karl nur das Heft und das Schreibzeug auf den Tisch gelegt, während er die
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik