Page - 177 - in Amerika
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sie aufbrechen, und dann kam es zu der Rauferei. Ich bin unglücklich, daß ich
noch hier bin.«
»Haben Sie denn eine andere Stellung?« fragte der Student.
»Nein«, sagte Karl, »aber daran liegt mir nichts, wenn ich nur von hier fort
wäre.«
»Hören Sie einmal«, sagte der Student, »daran liegt Ihnen nichts?« Und
beide schwiegen ein Weilchen. »Warum wollen Sie denn bei den Leuten nicht
bleiben?” fragte dann der Student.
»Delamarche ist ein schlechter Mensch«, sagte Karl, »ich kenne ihn schon
von früher her. Ich marschierte einmal einen Tag lang mit ihm und war froh,
als ich nicht mehr bei ihm war. Und jetzt soll ich Diener bei ihm werden?«
»Wenn alle Diener bei der Auswahl ihrer Herrschaften so heikel sein
wollten wie Sie!« sagte der Student und schien zu lächeln. »Sehen Sie, ich bin
während des Tages Verkäufer, niedrigster Verkäufer, eher schon Laufbursche
im Warenhaus von Montly. Dieser Montly ist zweifellos ein Schurke, aber das
läßt mich ganz ruhig, wütend bin ich nur, daß ich so elend bezahlt werde.
Nehmen Sie sich also an mir ein Beispiel.«
»Wie?« sagte Karl, »Sie sind bei Tag Verkäufer und in der Nacht studieren
Sie?«
»Ja«, sagte der Student, »es geht nicht anders. Ich habe schon alles
mögliche versucht, aber diese Lebensweise ist noch die beste. Vor Jahren war
ich nur Student, bei Tag und Nacht, wissen Sie, nur bin ich dabei fast
verhungert, habe in einer schmutzigen alten Höhle geschlafen und wagte mich
in meinem damaligen Anzug nicht in die Hörsäle. Aber das ist vorüber.«
»Aber wann schlafen Sie?« fragte Karl und sah den Studenten verwundert
an.
»Ja, schlafen!« sagte der Student. »Schlafen werde ich, wenn ich mit
meinem Studium fertig bin. Vorläufig trinke ich schwarzen Kaffee.« Und er
wandte sich um, zog unter seinem Studiertisch eine große Flasche hervor, goß
aus ihr schwarzen Kaffee in ein Täßchen und schüttete ihn in sich hinein, so
wie man Medizinen eilig schluckt, um möglichst wenig von ihrem
Geschmack zu spüren.
»Eine feine Sache, der schwarze Kaffee«, sagte der Student. »Schade, daß
Sie so weit sind, daß ich Ihnen nicht ein wenig hinüberreichen kann.«
»Mir schmeckt schwarzer Kaffee nicht«, sagte Karl.
»Mir auch nicht«, sagte der Student und lachte. »Aber was wollte ich ohne
ihn anfangen. Ohne den schwarzen Kaffee würde mich Montly keinen
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik