Page - 178 - in Amerika
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Augenblick behalten. Ich sage immer Montly, obwohl der natürlich keine
Ahnung hat, daß ich auf der Welt bin. Ganz genau weiß ich nicht, wie ich
mich im Geschäft benehmen würde, wenn ich nicht dort im Pult eine gleich
große Flasche wie diese immer vorbereitet hätte, denn ich habe noch nie
gewagt, mit dem Kaffeetrinken auszusetzen, aber, glauben Sie mir nur, ich
würde bald hinter dem Pulte liegen und schlafen. Leider ahnt man das, sie
nennen mich dort den ›Schwarzen Kaffee‹, was ein blödsinniger Witz ist und
mir gewiß in meinem Vorwärtskommen schon geschadet hat.«
»Und wann werden Sie mit Ihrem Studium fertig werden?« fragte Karl.
»Es geht langsam«, sagte der Student mit gesenktem Kopf. Er verließ das
Geländer und setzte sich wieder an den Tisch, die Ellbogen auf das offene
Buch aufgestützt, mit den Händen durch seine Haare fahrend, sagte er dann:
»Es kann noch ein bis zwei Jahre dauern.«
»Ich wollte auch studieren«, sagte Karl, als gebe ihm dieser Umstand ein
Anrecht auf ein noch größeres Vertrauen, als es der jetzt verstummende
Student ihm gegenüber schon bewiesen hatte.
»So”, sagte der Student, und es war nicht ganz klar, ob er in seinem Buche
schon wieder las oder nur zerstreut hineinstarrte, »seien Sie froh, daß Sie das
Studium aufgegeben haben. Ich selbst studiere schon seit Jahren eigentlich
nur aus Konsequenz. Befriedigung habe ich wenig davon und
Zukunftsaussichten noch weniger. Welche Aussichten wollte ich denn haben!
Amerika ist voll von Schwindeldoktoren.«
»Ich wollte Ingenieur werden«, sagte Karl noch eilig zu dem scheinbar
schon gänzlich unaufmerksamen Studenten hinüber.
»Und jetzt sollen Sie Diener bei diesen Leuten werden«, sagte der Student
und sah flüchtig auf, »das schmerzt Sie natürlich.«
Diese Schlußfolgerung des Studenten war allerdings ein Mißverständnis,
aber vielleicht konnte es Karl beim Studenten nützen. Er fragte deshalb:
»Könnte ich nicht vielleicht auch eine Stelle im Warenhaus bekommen?«
Diese Frage riß den Studenten völlig von seinem Buche los; der Gedanke,
daß er Karl bei seiner Postenbewerbung behilflich sein könnte, kam ihm gar
nicht. »Versuchen Sie es«, sagte er, »Oder versuchen Sie es lieber nicht. Daß
ich meinen Posten bei Montly bekommen habe, ist der bisher größte Erfolg
meines Lebens gewesen. Wenn ich zwischen dem Studium und meinem
Posten zu wählen hätte, würde ich natürlich den Posten wählen. Meine
Anstrengung geht nur darauf hin, die Notwendigkeit einer solchen Wahl nicht
eintreten zu lassen.«
»So schwer ist es, dort einen Posten zu bekommen«, sagte Karl mehr für
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik