Page - 189 - in Amerika
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bestimmt. Ist vielleicht ein Ingenieur unter Ihnen?« Karl meldete sich. Er
glaubte, gerade weil er keine Papiere hatte, müsse er bestrebt sein, alle
Formalitäten möglichst rasch durchzujagen, eine kleine Berechtigung, sich zu
melden, hatte er auch, denn er hatte ja Ingenieur werden wollen. Aber als die
Burschen sahen, daß Karl sich meldete, wurden sie neidisch und meldeten
sich auch alle; alle meldeten sich. Der Personalchef streckte sich in die Höhe
und sagte zu den Burschen: »Sie sind Ingenieure?« Da senkten sie alle
langsam die Hände, Karl dagegen bestand auf seiner ersten Meldung. Der
Personalchef sah ihn zwar ungläubig an, denn Karl schien ihm zu kläglich
angezogen und auch zu jung, um Ingenieur sein zu können, aber er sagte doch
nichts weiter, vielleicht aus Dankbarkeit, weil Karl ihm, wenigstens seiner
Meinung nach, die Bewerber hereingeführt hatte. Er zeigte bloß einladend
nach der Kanzlei, und Karl ging hin, während sich der Personalchef den
anderen zuwandte.
In der Kanzlei für Ingenieure saßen an den zwei Seiten eines
rechtwinkeligen Pultes zwei Herren und verglichen zwei große Verzeichnisse,
die vor ihnen lagen. Der eine las vor, der andere strich in seinem Verzeichnis
die vorgelesenen Namen an. Als Karl grüßend vor sie hintrat, legten sie sofort
die Verzeichnisse fort und nahmen andere große Bücher vor, die sie
aufschlugen.
Der eine, offenbar nur ein Schreiber, sagte: »Ich bitte um Ihre
Legitimationspapiere.«
»Ich habe sie leider nicht bei mir«, sagte Karl.
»Er hat sie nicht bei sich«, sagte der Schreiber zu dem anderen Herrn und
schrieb die Antwort gleich in sein Buch ein.
»Sie sind Ingenieur?« fragte dann der andere, der der Leiter der Kanzlei zu
sein schien.
»Ich bin es noch nicht«, sagte Karl schnell, »aber –«
»Genug«, sagte der Herr noch viel schneller, »dann gehören Sie nicht zu
uns. Ich bitte, die Aufschrift zu beachten.« Karl biß die Zähne zusammen, der
Herr mußte es bemerkt haben, denn er sagte: »Es ist kein Grund zur Unruhe.
Wir können alle brauchen.« Und er winkte einem der Diener, die
beschäftigungslos zwischen den Barrieren umhergingen: »Führen Sie diesen
Herrn zu der Kanzlei für Leute mit technischen Kenntnissen.«
Der Diener faßte den Befehl wörtlich auf und faßte Karl bei der Hand. Sie
gingen zwischen vielen Buden durch, in einer sah Karl schon einen der
Burschen, der schon aufgenommen war und den Herren dort dankend die
Hand drückte. In der Kanzlei, in die Karl jetzt gebracht wurde, war, wie Karl
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik