Page - 196 - in Amerika
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Ansichten des Theaters von Oklahoma besichtigen, die an einem Ende der
Tafel aufgestapelt waren und von Hand zu Hand gehen sollten. Doch
kümmerte man sich nicht viel um die Bilder, und so geschah es, daß bei Karl,
der der Letzte war, nur ein Bild ankam. Nach diesem Bild zu schließen,
mußten aber alle sehr sehenswert sein. Dieses Bild stellte die Loge des
Präsidenten der Vereinigten Staaten dar. Beim ersten Anblick konnte man
denken, es sei nicht eine Loge, sondern die Bühne, so weit geschwungen ragte
die Brüstung in den freien Raum. Diese Brüstung war ganz aus Gold in allen
ihren Teilen. Zwischen den wie mit der feinsten Schere ausgeschnittenen
Säulchen waren nebeneinander Medaillons früherer Präsidenten angebracht,
einer hatte eine auffallend gerade Nase, aufgeworfene Lippen und unter
gewölbten Lidern starr gesenkte Augen. Rings um die Loge, von den Seiten
und von der Höhe, kamen Strahlen von Licht; weißes und doch mildes Licht
enthüllte den Vordergrund der Loge, während ihre Tiefe hinter rotem, unter
vielen Tönungen sich faltendem Samt, der an der ganzen Umrandung
niederfiel und durch Schnüre gelenkt wurde, als eine dunkle, rötlich
schimmernde Leere erschien. Man konnte sich in dieser Loge kaum
Menschen vorstellen, so selbstherrlich sah alles aus. Karl vergaß das Essen
nicht, sah aber doch oft die Abbildung an, die er neben seinen Teller gelegt
hatte.
Schließlich hätte er doch noch sehr gerne wenigstens eines der übrigen
Bilder angesehen, selbst holen wollte er es sich aber nicht, denn ein Diener
hatte die Hand auf den Bildern liegen und die Reihenfolge mußte wohl
gewahrt werden; er suchte also nur die Tafel zu überblicken und festzustellen,
ob sich nicht doch noch ein Bild nähere. Da bemerkte er staunend – zuerst
glaubte er es gar nicht unter den am tiefsten zum Essen gebeugten Gesichtern
ein gut bekanntes: Giacomo. Gleich lief er zu ihm hin. »Giacomo!« rief er.
Dieser, schüchtern wie immer, wenn er überrascht wurde, erhob sich vom
Essen, drehte sich in dem schmalen Raum zwischen den Bänken, wischte mit
der Hand den Mund, war dann aber sehr froh, Karl zu sehen, bat ihn, sich
neben ihn zu setzen, oder bot sich an, zu Karls Platz hinüberzukommen; sie
wollten einander alles erzählen und immer beisammenbleiben. Karl wollte die
anderen nicht stören, jeder sollte deshalb vorläufig seinen Platz behalten, das
Essen werde bald zu Ende sein, und dann wollten sie natürlich immer
zueinander halten. Aber Karl blieb doch noch bei Giacomo, nur um ihn
anzusehen. Was für Erinnerungen an vergangene Zeiten! Wo war die
Oberköchin? Was machte Therese? Giacomo selbst hatte sich in seinem
Äußeren fast gar nicht verändert, die Voraussage der Oberköchin, daß er in
einem halben Jahr ein knochiger Amerikaner werden müsse, war nicht
eingetroffen, er war zart wie früher, die Wangen eingefallen wie früher,
augenblicklich allerdings waren sie gerundet, denn er hatte im Mund einen
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik