Page - 200 - in Amerika
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Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur deshalb
gegen Robinson so gereizt – in seiner Gereiztheit übersah er Karl glattwegs –,
weil er selbst Brunelda nicht zufriedenstellen konnte. »Ach!« schrie sie auf,
und selbst der sonst unbeteiligte Karl zuckte zusammen. »Wie du mir weh
tust! Geh weg! Ich wasche mich lieber selbst, statt so zu leiden! Jetzt kann ich
schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel, wie du mich drückst.
Auf dem Rücken muß ich lauter blaue Flecke haben. Natürlich, du wirst es
mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von Robinson anschauen lassen oder
von unserem Kleinen. Nein, ich tue es ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter.
Nimm Rücksicht, Delamarche, aber das kann ich jeden Morgen wiederholen,
du nimmst und nimmst keine Rücksicht. – Robinson!« rief sie dann plötzlich
und schwenkte ein Spitzenhöschen über ihrem Kopf. »Komm mir zu Hilfe,
schau, wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser Delamarche!
Robinson, Robinson, wo bleibst du, hast auch du kein Herz?« Karl machte
schweigend dem Robinson ein Zeichen mit dem Finger, daß er doch hingehen
möge, aber Robinson schüttelte mit gesenkten Augen überlegen den Kopf, er
wußte es besser. »Was fällt dir ein?« sagte Robinson, zu Karls Ohr gebeugt.
»Das ist nicht so gemeint. Nur einmal bin ich hingegangen und nicht wieder.
Sie haben mich damals beide gepackt und in die Wanne getaucht, daß ich fast
ertrunken wäre. Und tagelang hat mir die Brunelda vorgeworfen, daß ich
schamlos bin, und immer wieder hat sie gesagt: ›Jetzt warst du aber schon
lange nicht im Bad bei mir‹ oder ›Wann wirst du mich denn wieder im Bade
anschauen kommen?‹ Erst als ich ihr einigemal auf den Knien abgebeten
habe, hat sie aufgehört. Das werde ich nicht vergessen.«
Und während Robinson das erzählte, rief Brunelda immer wieder:
»Robinson! Robinson! Wo bleibt denn dieser Robinson!«
Obwohl ihr aber niemand zu Hilfe kam und nicht einmal eine Antwort
erfolgte – Robinson hatte sich zu Karl gesetzt und beide sahen schweigend zu
den Kasten hin, über denen hie und da die Köpfe Bruneldas oder Delamarches
erschienen –, trotzdem hörte Brunelda nicht auf, laut über Delamarche Klage
zu führen. »Aber Delamarche!« rief sie. »Jetzt spüre ich ja wieder gar nicht,
daß du mich wäschst. Wo hast du den Schwamm? Also greif doch zu! Wenn
ich mich nur bücken, wenn ich mich nur bewegen könnte! Ich wollte dir
schon zeigen, wie man wäscht. Wo sind die Mädchenzeiten, als ich dort
drüben auf dem Gut der Eltern jeden Morgen im Colorado schwamm, die
beweglichste von allen meinen Freundinnen. Und jetzt! Wann wirst du denn
lernen, mich zu waschen, Delamarche; du schwenkst den Schwamm herum,
strengst dich an und ich spüre nichts. Wenn ich sagte, daß du mich nicht wund
drücken sollst, so meinte ich doch nicht, daß ich dastehen und mich erkälten
will. Du wirst sehen, daß ich aus der Wanne springe und weglaufe, so wie ich
bin!«
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik