Page - 204 - in Amerika
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Sie traten in eine Küche ein, von deren Herd, der reparaturbedürftig schien,
geradezu schwarze Wölkchen aufstiegen. Vor der Herdtüre kniete eine der
Frauen, die Karl gestern auf dem Korridor gesehen hatte, und legte mit den
bloßen Händen große Kohlestücke in das Feuer, das sie nach allen Richtungen
hin prüfte. Dabei seufzte sie in ihrer für eine alte Frau unbequemen, knienden
Stellung.
»Natürlich, da kommt auch noch diese Plage«, sagte sie beim Anblick
Robinsons, erhob sich mühselig, die Hand auf der Kohlenkiste, und schloß
die Herdtüre, deren Griff sie mit ihrer Schürze umwickelt hatte. »Jetzt um vier
Uhr nachmittags« – Karl staunte die Küchenuhr an – »müßt ihr noch
frühstücken? Bande! – Setzt euch«, sagte sie dann, »und wartet, bis ich für
euch Zeit habe.«
Robinson zog Karl auf ein Bänkchen in der Nähe der Türe nieder und
flüsterte ihm zu: »Wir müssen ihr folgen. Wir sind nämlich von ihr abhängig.
Wir haben unser Zimmer von ihr gemietet, und sie kann uns natürlich jeden
Augenblick kündigen. Aber wir können doch nicht die Wohnung wechseln,
wie sollen wir denn wieder alle die Sachen wegschaffen, und vor allem ist
doch Brunelda nicht transportabel.«
»Und hier auf dem Gang ist kein anderes Zimmer zu bekommen?« fragte
Karl.
»Es nimmt uns ja niemand auf«, antwortete Robinson. »Im ganzen Haus
nimmt uns niemand auf.«
So saßen sie still auf ihrem Bänkchen und warteten. Die Frau lief
immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin
und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, daß ihre Tochter unwohl war und sie
deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung von dreißig
Mietern, allein besorgen mußte. Nun war noch überdies der Ofen schadhaft,
das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei riesigen Töpfen wurde eine
dicke Suppe gekocht, und wie oft die Frau sie auch mit Schöpflöffeln
untersuchte und aus der Höhe herabfließen ließ, die Suppe wollte nicht
gelingen, es mußte wohl das schlechte Feuer daran schuld sein, und so setzte
sie sich vor der Herdtüre fast auf den Boden und arbeitete mit dem
Schürhaken in der glühenden Kohle herum: Der Rauch, von dem die Küche
erfüllt war, reizte sie zu einem Husten, der sich manchmal so verstärkte, daß
sie nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als hustete.
Öfters machte sie die Bemerkung, daß sie das Frühstück heute überhaupt
nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit noch Lust habe. Da Karl
und Robinson einerseits den Befehl hatten, das Frühstück zu holen,
andererseits aber keine Möglichkeit, es zu erzwingen, antworteten sie auf
solche Bemerkungen nicht, sondern blieben still sitzen wie zuvor.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik