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autobiografische Texte wie das Kriegstagebuch wieder aufzugreifen und zu pu-
blizieren.17 Es kam aber nicht dazu, denn kurzfristig versprach ein Angebot von
Luise Dumont und Gustav Lindemann, die das DĂĽsseldorfer Schauspielhaus
leiteten, einen nochmaligen Neuanfang an einem »Theater der Erneuerung« :
»Nach all den Sorgen und Schwierigkeiten verhießen sie uns Jahre friedlicher,
produktiver Arbeit, boten uns ihre unschätzbare Erfahrung an in der Überzeu-
gung, dass wir ihrem Theater all unseren Idealismus geben würden.«18 Doch
auch diese Zusammenarbeit misslang 1927, nach einem knappen Jahr, aufgrund
von persönlichen Differenzen.
Berthold Viertel hatte in all diesen Jahren zwar kaum Zeit, um seine Erfah-
rungen zu reflektieren, aber dennoch entstand in Berlin und DĂĽsseldorf ein
umfangreiches Fragment, das dem autobiografischen Projekt zuzurechnen ist. In
dem philosophischen Thesenroman Ein Pfuscher / Der ĂśberflĂĽssige / Ich liebe dich,
Ariadne. Aus den Papieren eines überflüssigen Menschen – von Viertel zumeist kurz
Ariadne genannt – finden sich viele autobiografische Episoden, die auch in vor-
gängigen und nachfolgenden Selbstzeugnissen auftauchen, wenn auch stark
verfremdet. Noch erschienen die Erlebnisse und EindrĂĽcke des Protagonisten als
stark von den Identitätskrisen der Moderne geprägter, diffuser Aufbruch aus ei-
ner untergehenden Welt, der nirgendwohin führt. Die »Getriebenheit des Men-
schen durch unsichtbare Schicksalsmächte« und der »Mensch als von gesell-
schaftlichen Prozessen losgelöstes Einzelwesen« waren Themen der von Viertel
leidenschaftlich vertretenen expressionistischen Dramatik der 1920er-Jahre. Ih-
nen war er hier stark verhaftet, wenn ihn auch wenig später vermehrt die histo-
rischen und sozialen Bedingungen seines Werdens zu interessieren begannen.19
GewissermaĂźen nebenbei hatte sich Berthold Viertel seit 1921 einen Namen
in der noch jungen Filmszene der Weimarer Republik gemacht.20 Besonders
sein heute verschollener Film Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins nach einem
Drehbuch von Béla Balázs, gedreht von dem bekannten Kameramann Helmar
Lerski, erregte internationales Aufsehen. Zudem hatte Viertel wiederholt mit
Friedrich Wilhelm Murnau zusammengearbeitet, dessen erster Hollywoodfilm
17 Viertel, Das unbelehrbare Herz, 1970, 184.
18 Viertel, Das unbelehrbare Herz, 1970, 183 ; vgl. Prager, Salka Viertel, 2007, 79–91.
19 Roessler, Peter, Doppelkonfrontation : Berthold Viertels Rückkehr nach Wien, in : Thunecke, Jörg
(Hg.), Echo des Exils. Das Werk emigrierter österreichischer Schriftsteller nach 1945, Wuppertal
2006, 344–361, 348.
20 Jung, Uli und Schatzberg, Walter (Hg.), Filmkultur zur Zeit der Weimarer Republik, Beiträge zu
einer internationalen Konferenz vom 15. bis 18.Â
Juni 1989 in Luxemburg, MĂĽnchen 1992 ; Roberts,
Ian, German Expressionist Cinema. The World of Light and Shadow, London/New York 2008 ;
Rogowski, Christian (Hg.), The Many Faces of Weimar Cinema. Rediscovering Germany’s Filmic
Legacy, New York 2010.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359