Page - 88 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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in Austria 1948 und das namensgebende Symbol des Films »ein richtiger öster-
reichischer Barockengel«.60
Es ging darin um die Geschichte der Klavierfabrikantenfamilie von Alt, die
von ca. 1900 bis 1938 erzählt und eng mit der Geschichte Österreichs verknüpft
wurde. Der Film basierte auf einem Roman von Ernst Lothar. Lothar war zu
dieser Zeit zwar nicht mehr Kulturoffizier des Information Services Branch,
aber immer noch eine »graue Eminenz« im österreichischen Kulturleben.61
Berthold Viertel hatte im Exil selbst einen Roman von Lothar (Kleine Freundin,
1931) verfilmt. Es ist unklar, ob er auch die Lotharsche Romanvorlage zu Der
Engel mit der Posaune, die sich doch kritischer mit NS-Themen auseinander-
setzte als die Verfilmung, kannte. Der Film wurde Viertel jedenfalls zum Stein
des Anstoßes. Für ihn wurden Lothars bereits skizzierte »Kulturphantasien«62
darin lebendig und massenwirksam. In einer »Nachtkritik« an seinen Freund
Alfred Polgar schrieb er :
Liebster Alfred, einen Stein, nein, einen ganzen Schotterhaufen auf den so widerwär-
tig offiziellen und salbungsvollen Hofrat Lothar zu werfen, der leider ein Teil von uns
allen ist, hat vielleicht nur derjenige das Recht, welcher der sogenannten Wienerstadt
sich nie wieder nähert. Wer, wie ich, doch wieder nach diesem Friedhof unserer Ver-
gangenheit, wenn auch auf Widerruf, heimkehren will, um dort am Burgtheater, ge-
radezu am Burgtheater, mit dessen Ensemble, dem sich nun auch noch der Werner
Krauss zugesellen wird, zu arbeiten, der sollte lieber schweigen, nicht wahr ? Lothar
hat sich dort eingefügt, wie Gänseschmalz in einer aufgeschnittenen Kaisersemmel.
Er ist gerechtfertigt durch seinen echten Patriotismus, durch seinen Glauben, mosa-
isch oder nicht, an die große Kunst, die bodenständige, der Wessely, der Hörbigers, der
Bleibtreu etc. Ferner verehrt er nicht nur diese appetitlichen Ruinen, sondern auch die
österreichische Geschichte, die mir immer noch miserabel erscheint. Er will dieses
ganze Wesen von Blut- und Verwesungsflecken reinputzen, Ă–sterreich in der Welt
wieder zu Ansehen bringen, in einer Welt, die er gleichfalls bejaht, und Hunger und
Mangel durch einen gesteigerten Fremdenverkehr verkleinern. Mir fehlt der Hang zu
all der Gutwilligkeit, die ihn entschuldigt.63
60 Lothar, Ernst, Der Engel mit der Posaune, Salzburg 1947, 15 bzw. Intro von : Der Engel mit der
Posaune, Ă–sterreich 1948, 138 min, Regie : Karl Hartl.
61 Rathkolb, Ernst Lothar, in : Thunecke (Hg.), Echo des Exils, 2006, 279–295, 292.
62 Holzer, Kulturphantasien, in : Theodor-Kramer-Gesellschaft (Hg.), Traum von der Realität, 1998,
170–180.
63 BV an Alfred Polgar, 8. September 1948, 69.2087/1, K32, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359