Page - 269 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
Image of the Page - 269 -
Text of the Page - 269 -
  Karl 
Kraus |  269
begann zudem als Vorleser aufzutreten und füllte rasch Konzertsäle.6 Kraus
förderte um diese Zeit auch verstärkt begabte Dichter der expressionistischen
Generation und gerade Viertels Gedichte nahmen Kraus offenbar sehr rasch fĂĽr
den jungen Mann ein und fĂĽhrten zu intensiverem Austausch.7
Kraus erkannte sicher rasch, dass Viertel ein in der Kulturszene gut vernetzter
junger Mann war, der mit seiner Fackel aufgewachsen war und »durch ihn uner-
schrocken und gerade und genau denken gelernt« hatte – Viertel war also vor-
bereitet, Kraus nicht nur zu gefallen, sondern auch seine Unternehmungen zu
unterstĂĽtzen :8
So wurde ich in den Jahren 1910, 1911, Mitarbeiter der Fackel. Was das bedeutete, was
es für mich bedeuten musste, wissen heute nur noch wenige Überlebende – es gibt
diese Wenigen in vielen Ländern – zu schätzen. Es war kein Zufall, dass ich zu Karl
Kraus fand, dass er mich aufnahm und auch später noch, trotz meiner unbezähmbaren
Neigung zum Widerspruch, als einen jüngeren Freund behielt. […] Andere strebten
in die Neue Freie Presse. Andere freilich auch zur Arbeiter-Zeitung.9
Sicherlich war Viertel stolz, den persönlich eher distanzierten Kraus für sich
gewonnen zu haben. Ähnlich wie Peter Altenberg – mit dem er eng befreundet
war – war Kraus in den Kreisen der »kritisch-modernen Söhne« bereits zu einer
Kultfigur geworden und der mit Viertel befreundete Schauspieler Rudolf Forster
erinnerte sich, dass sogar »die Art, wie Altenberg und Kraus ihre Zigaretten
rauchten […] von ihren Mitläufern und Verehrern kopiert [wurde]. In zahllosen
Varianten konnte man das jahrelang sehen. Kraus hielt die Zigarette unausge-
setzt im Mundwinkel, auch beim Lesen und Sprechen […].«10 Auch Berthold
Viertel zeigen einige Fotos mit Zigarette im Mundwinkel.
Bald wurde ihm aber auch klar : »[…] von diesem Karl aß man nicht
ungestraft.«11 Da sich Kraus in seiner »Offensive gegen den Zeitgeist« jeder
Scharen. Ein wahres VergnĂĽgen dazusein. Karl KrausÂ
– Herwarth Walden. Briefwechsel 1909–1912,
Göttingen 2002.
6 Prager, Katharina, Karl Kraus Online, www.kraus.wienbibliothek.at, 2015 (zuletzt : 27.11.2016).
7 Carr, Gilbert J., »Das Kriterium des Lyrischen« und die Lyriker der Vorkriegs-Fackel, in : Festschrift
fĂĽr Christian Wagenknecht zum 60.Â
Geburtstag, Göttingen 1995, 107–115 ; Viertel, Das unbelehr-
bare Herz, 1970, 137.
8 BV, Undatierte Fragmente, o.D., o.S., NK12, und BV, Karl Kraus, der Erzieher, o.D., o.S., K14, A :
Viertel, DLA.
9 BV, Heimkehr, o.D., o.S., NK09, A : Viertel, DLA. Auch andere junge Autoren wie Hugo Wolf und
Ludwig UllmannÂ
– die ebenfalls in der Fackel publiziertenÂ
– unterstützten Kraus damals organisato-
risch.
10 Forster, Rudolf, Das Spiel mein Leben, Berlin 1967, 206.
11 BV an Alfred Polgar, undatiert [um 1950], 91.15.218, K32, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359