Page - 304 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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304  | Erinnerungsorte 
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felspitz. […] Und das Ganze kostete einen Gulden oder zwei Kronen. Wir saßen
dort natürlich nie im ersten Stock […]. Wir saßen unten in der ›Schwemm‹.«63
Gerade in diesem März 1913 stellte sich nun heraus, dass der Baugrund in
der Skodagasse und mit ihm das unfertige Theater von Rundts Schauspielhaus-
gesellschaft verkauft worden waren und es kein »großes Haus« für die Volks-
bühne geben würde. Stefan Großmann schied aufgrund persönlicher Differen-
zen mit Arthur Rundt, den er in seinen Erinnerungen nicht erwähnte, aus dem
Unternehmen aus. Berthold Viertel blieb unter Rundts Direktion vorläufig an
der Volksbühne in der Neubaugasse – dort institutionalisierte sich ein Proviso-
rium, was Viertel zuerst nicht weiter bekümmerte : »Damals war ich zu befangen
in dem jungen GlĂĽck, Regie fĂĽhren zu dĂĽrfen, war fieberhaft eingespannt zwi-
schen Dichtung und schauspielerischer Individualität, von Fall zu Fall den
Reichtum theatralischer Belebung entdeckend.«64
In seiner nächsten Inszenierung eines zeitgenössischen Stückes von Herbert
Eulenberg (Alles ums Geld) arbeitete Viertel mit zwei noch völlig unbekannten,
zukĂĽnftigen Stars des deutschsprachigen Theaters : Vor allem der junge Fritz
Kortner machte die Premiere am 6. Mai 1913 zum Sensationserfolg.65 Den ne-
ben Kortner noch unauffälliger agierenden Prager Ernst Deutsch hatte Viertel
angeblich selbst entdeckt.66
Im Abstand von nur jeweils etwa drei Wochen inszenierte Viertel in der fol-
genden Saison Bürger Schippel von Carl Sternheim (11. Oktober 1913),67 Die
lange Jule von Carl Hauptmann (26. November 1913), Clavigo von Goethe
(27. Jänner 1914), Die von nebenan von Thaddäus Rittner und Das Gnadenbrot
von Turgenjew (27. Februar 1914), Mutter Landstraße von Wilhelm Schmidt-
bonn (16. April 1914), Schwanenweiß von Strindberg (2. Mai 1914), Der Ziga-
rettenkasten von John Galsworthy (23. Mai 1914) und Die Milchbrüder von Os-
kar Maurus Fontana (10. Juni 1914).
Der Schriftsteller Otto Zoff beschrieb diese Inszenierungen später als »Ein-
drücke, die für mich bestimmend wurden«, und zählte Viertel »zu den drei, vier
Gründern des modernen Theaters in Mitteleuropa«68. Auch Berthold Viertel
selbst meinte im RĂĽckblick, dass er in den zwei Jahren vor dem Ausbruch des
63 Forster, Spiel, 1967, 163.
64 BV, VolksbĂĽhne 1911, in : Heidenreich (Hg.), Berthold Viertel Schriften, 1970, 230.
65 Rezension von David Josef Bach, in : Mayerhöfer, Berthold Viertel, 1975, 46–48.
66 Forster, Spiel, 1967, 162. Kortner arbeitete später noch öfter mit Viertel, meinte aber später, mit
dessen Regie nichts anfangen zu können. Für Kortner verschwendete der Dichter Viertel seine Be-
gabung am Theater.
67 Herbert Ihering zufolge die beste Schippel-Inszenierung, die er je sah (Ihering, Herbert, Zum Ge-
leit, in : Heidenreich (Hg.), Berthold Viertel Schriften, 1970).
68 Otto Zoff zu Berthold Viertels 60.Â
Geburtstag, 1945, 69.113, K49, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359