Page - 8 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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hinaufgefahren, nicht bis an die Grenzen Perus und Boliviens gelangt, ich
habe es durch die Schwierigkeiten der Schiffahrt innerhalb der ungünstigen
Jahreszeit versäumen müssen, die zwölftägige Fahrt auf dem Rio São
Francisco zu unternehmen, Brasiliens mächtigem und historisch so
bedeutsamem Binnenfluß. Ich habe den Itatiaia nicht bestiegen, den
dreitausend Meter hohen Berg, von dem man das brasilianische Hochplateau
mit seinen Gipfeln bis weit nach Minas Gerais und Rio de Janeiro überschaut.
Ich habe nicht das Weltwunder des Iguassú gesehen, der in schäumendem
Katarakt die gewaltigsten Wassermassen niederschmettert, und dessen
Grandiosität nach den Aussagen der Besucher den Niagara weit übertrifft. Ich
bin nicht mit Hacke und Messer in das dumpfe und schillernde Dickicht des
Urwalds eingedrungen. Trotz allen Reisens, Schauens, Lernens, Lesens und
Suchens bin ich nicht weit über den Rand der Zivilisation in Brasilien
hinausgekommen und muß mich trösten mit dem Gedanken, daß ich kaum
zwei oder drei Brasilianer traf, die behaupten konnten, die innere und fast
undurchdringliche Tiefe ihres eigenen Landes zu kennen, und daß auch
Eisenbahn, Dampfboot und Auto mich nicht viel weiter geführt hätten, auch
sie machtlos gegen die phantastische Ausdehnung dieses Reiches. Auch
endgültige Schlüsse, Voraussagen und Prophezeiungen über die
wirtschaftliche, finanzielle und politische Zukunft Brasiliens zu geben, muß
ich mir redlicherweise versagen. Wirtschaftlich, soziologisch, kulturell sind
Brasiliens Probleme so neu, so eigenartig und vor allem infolge seiner
Weiträumigkeit so unübersichtlich geschichtet, daß jedes einzelne einen
ganzen Stab von Spezialisten zu gründlicher Erklärung forderte. Ein
vollständiger Überblick ist unmöglich in einem Lande, das sich selber noch
nicht vollständig überblickt und außerdem sich in einem so stürmischen
Wachstum befindet, daß jeder Bericht und jede Statistik schon überholt ist,
ehe die Information zur Schrift und diese Schrift zum gedruckten Wort wird.
Aus der Fülle der Aspekte sei darum vor allem ein Problem in den
Mittelpunkt gestellt, das mir das aktuellste scheint und im Geistigen und
Moralischen heute Brasilien einen besonderen Rang unter allen Nationen der
Erde gibt.
Dieses Zentralproblem, das sich jeder Generation und somit auch der
unseren aufzwingt, ist die Beantwortung der allereinfachsten und doch
notwendigsten Frage: wie ist auf unserer Erde ein friedliches Zusammenleben
der Menschen trotz aller disparaten Rassen, Klassen, Farben, Religionen und
Überzeugungen zu erreichen? Es ist das Problem, das an jede Gemeinschaft,
jeden Staat immer wieder von neuem gebieterisch herantritt. Keinem Lande
hat es sich durch eine besonders komplizierte Konstellation gefährlicher
gestellt als Brasilien, und keines hat es – und dies dankbar zu bezeugen,
schreibe ich dieses Buch – in so glücklicher und vorbildlicher Weise gelöst
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197