Page - 10 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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charakteristischer, als das Fehlen jedes herabsetzenden Worts in der Sprache.
Während bei uns von Nation zu Nation die eine für die andere ein Haßwort
oder ein Hohnwort erfand, den Katzelmacher oder den Boche, fehlt hier im
Vokabular völlig das entsprechende deprezierende Wort für den nigger oder
den Kreolen, denn wer könnte, wer wollte sich hier absoluter Rassenreinheit
berühmen? Mag Gobineaus verärgertes Wort, er habe nur einen einzigen
Reinrassigen in ganz Brasilien gefunden, den Kaiser Dom Pedro II.,
Übertreibung sein, so ist doch außer den letzten Neueingewanderten gerade
der echte, der rechte Brasilianer gewiß, einige Tropfen heimatlichen Bluts in
dem seinen zu haben. Aber Zeichen und Wunder: er schämt sich dessen nicht.
Das angeblich destruktive Prinzip der Mischung, dieser Horror, diese »Sünde
gegen das Blut« unserer besessenen Rassentheoretiker ist hier bewußt
verwertetes Bindemittel einer nationalen Kultur. Auf diesem Fundament hat
sich seit vierhundert Jahren sicher und stetig eine Nation erhoben und –
Mirakel! – die ständige Durchströmung und gegenseitige Anpassung unter
gleichem Klima und gleichen Lebensbedingungen hat einen durchaus
individuellen Typus herausgearbeitet, dem alle die von den
Rassenreinheitsfanatikern großmäulig angekündigten »zersetzenden«
Eigenschaften völlig fehlen. Selten kann man irgendwo in der Welt schönere
Frauen und schönere Kinder sehen als bei den Mischlingen, zart im
Wuchs, sanft im Gehaben; mit Freude sieht man in dem halbdunklen Gesicht
der Studenten Intelligenz gepaart mit einer stillen Bescheidenheit und
Höflichkeit. Eine gewisse Weichheit, eine linde Melancholie formt hier einen
neuartigen und sehr persönlichen Gegensatz heraus zu dem schärferen und
aktiveren Typus des Nordamerikaners. Was sich in dieser Mischung
»zersetzt«, sind einzig die vehementen und darum gefährlichen Gegensätze.
Diese systematische Auflösung der geschlossenen und vor allem zum Kampf
geschlossenen nationalen oder rassischen Gruppen hat die Schaffung eines
einheitlichen Nationalbewußtseins unendlich erleichtert, und es ist
erstaunlich, wie vollkommen schon die zweite Generation sich nurmehr als
Brasilianer empfindet. Immer sind es die Tatsachen in ihrer unableugbaren
sichtbaren Kraft, welche die papiernen Theorien der Dogmatiker widerlegen.
Darum bedeutet das Experiment Brasilien mit seiner völligen und bewußten
Negierung aller Farb- und Rassenunterschiede durch seinen sichtbaren Erfolg
den vielleicht wichtigsten Beitrag zur Erledigung eines Wahns, der mehr
Unfrieden und Unheil über unsere Welt gebracht hat als jeder andere.
Und nun weiß man auch, warum sich einem die Seele so entlastend
entspannt, kaum man dieses Land betritt. Erst vermeint man, diese lösende,
beschwichtigende Wirkung sei nur Augenfreude, beglücktes In-sich-
Aufnehmen jener einzigartigen Schönheit, die den Kommenden gleichsam
mit weich gebreiteten Armen an sich zieht. Bald aber erkennt man, daß diese
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197