Page - 19 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Krongut erhalten will, muĂ sie sich entschlieĂen, Portugiesen
hinĂŒberzuschicken. Das Land mit seinem riesigen Raum, mit seinen
unbeschrÀnkten Möglichkeiten will HÀnde und braucht HÀnde, und jede neue,
die kommt, winkt hinĂŒber, um neue und neue zu fordern. Von Anfang an,
durch die ganze Geschichte Brasiliens, wiederholt sich dieser Ruf: Menschen,
mehr Menschen! Es ist wie die Stimme der Natur, die wachsen und sich
entfalten will und zu ihrem wahren Sinn, zu ihrer GröĂe, den notwendigen
Helfer, den Menschen, braucht.
Aber wie Kolonisten finden in dem kleinen, schon halb ausgebluteten
Lande? Portugal hat zu Beginn seiner Eroberungszeit höchstens
dreihunderttausend erwachsene MĂ€nner, davon sind ein gutes Zehntel, die
stÀrksten, die besten, die mutigsten mit den Armadas und von diesem Zehntel
neun Zehntel schon dem Meer, den KĂ€mpfen, den Krankheiten zum Opfer
gefallen. Immer schwerer wird es, obwohl die Dörfer schon entvölkert, die
Felder verödet sind, Soldaten und Matrosen zu finden, und selbst unter der
Gilde der Abenteuerlustigen will keiner nach Brasilien. Die vitalste, die
tapferste Schicht des Landes, die Fidalgos, die Adeligen und Soldaten weigert
sich; sie wissen, daĂ in der Terra de Santa Cruz kein Gold zu holen ist, keine
Edelsteine, kein Elfenbein und nicht einmal Ruhm. Die Gelehrten wiederum,
die Intellektuellen, was sollen sie tun dort im Leeren, abgeschnitten von aller
Kultur, die HĂ€ndler, die Kaufleute, was sollen sie handeln in einem Land mit
nackten Kannibalen, was heimbringen in umstÀndlichem Hin und Her, wo
doch eine einzige Fracht von den Molukken tausendfach das Risiko lohnt?
Selbst die Àrmsten portugiesischen Bauern ziehen vor, die eigene Erde zu
bestellen, statt sich in diese fremde und unbekannte der Kannibalen zu wagen.
Kein Mann von Adel und Rang, von Reichtum und Kultur zeigt also die
mindeste Neigung, sich nach diesen leeren KĂŒsten einzuschiffen, und so sind,
was in den allerersten Jahren in Brasilien haust, kaum mehr als ein paar
gestrandete Seeleute, ein paar Abenteurer und Deserteure von Schiffen, die
durch Zufall oder TrĂ€gheit dort zurĂŒckgeblieben sind und ihr Bestes zu einer
raschen Besiedlung ausschlieĂlich dadurch tun, daĂ sie dort unzĂ€hlige
Mischlinge, die sogenannten Mamelucos zeugen â einem einzigen werden
dreihundert zugeschrieben; aber im ganzen bleiben sie doch nur ein paar
hundert EuropÀer in einem Land, dessen bekanntes Ausmaà damals schon fast
so groĂ ist wie Europa.
So ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, der Einwanderung mit Gewalt
und Organisation nachzuhelfen. Portugal wendet dafĂŒr die schon in Spanien
erprobte Methode der Deportation an, indem alle Alcalden des Landes
aufgerufen werden, ĂbeltĂ€ter nicht mehr zu richten, sofern sie sich bereit
erklÀren, nach dem neuen Weltteil zu fahren. Wozu die GefÀngnisse
ĂŒberfĂŒllen und Verbrecher jahrelang auf Staatskosten verpflegen? Besser, man
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- GĂ€rten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen GoldstÀdten 167
- Flug ĂŒber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197