Page - 20 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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schickt die degregados auf Nimmerwiederkehr über das Meer in das neue
Land; dort können sie am Ende noch nützlich sein. Wie immer ist es scharfer,
nicht ganz reinlicher Dünger, der eine Erde am besten für künftige Ernte reif
macht.
Die einzigen Kolonisten, die freiwillig kommen, nicht aus Ketten, ohne
Brandmal und richterliches Verdikt, sind die Cristãos Novos, die
frischgetauften Juden. Aber auch sie kommen nicht ganz freiwillig, sondern
aus Vorsicht und Angst. Sie haben in Portugal mehr oder minder aufrichtig
die Taufe genommen, um dem Scheiterhaufen zu entgehen, fühlen sich jedoch
mit Recht im Schatten Torquemadas nicht mehr sicher. Besser also rechtzeitig
hinüber in ein neues Land, solange die grimmige Hand der Inquisition noch
nicht über den Ozean zu greifen vermag. Geschlossene Gruppen solcher
getaufter und auch ungetaufter Juden lassen sich in den Hafenstädten nieder
als die eigentlich ersten bürgerlichen Ansiedler; diese cristãos novos werden
die ältesten Familien von Bahia und Pernambuco und gleichzeitig die ersten
Organisatoren des Handels. Mit ihrer Kenntnis des Weltmarkts sorgen sie für
die Fällung und Verschiffung des pau vermelho, des Brasilholzes, das damals
den einzigen Ausfuhrartikel Brasiliens bildete, und dessen Handelskonzession
einer der Ihren, Fernando de Noronha, vom König laut Vertrag auf längere
Frist erworben hat. Nicht nur portugiesische, sondern auch ausländische
Schiffe kommen jetzt ziemlich regelmäßig, um diese seltene Fracht zu holen,
und allmählich bilden sich von Pernambuco bis Santos kleine
Hafensiedlungen als Urzellen der künftigen Städte. Inzwischen sind in
verschiedenen Expeditionen kleine und größere Flotten bis zum Rio de la
Plata vorgestoßen und haben die Gemarkung der Küste vorgenommen. Aber
noch immer liegt unbekannt und ohne Grenzen hinter dem schmalen Streifen,
der für die damalige Welt Brasilien bedeutet, das ganze riesige Land.
Langsam geht es vorwärts in den ersten drei Jahrzehnten und gefährlich
langsam. Immer mehr fremde Schiffe besuchen – nach der Auffassung
Portugals: widerrechtlich – die neuen Häfen, um Holz zu holen. 1530
entschließt sich der König endlich, um Ordnung zu schaffen, eine kleine
Flotte hinüberzusenden unter Martim Alfonso de Sousa, der sofort drei
französische Schiffe in flagranti ertappt und als ersten Eindruck dem Könige
meldet, was bisher jeder gemeldet: Brasilien muß besiedelt werden, sonst geht
es der Krone verloren. Wie immer aber seit Beginn der heroischen Zeit sind
die Kassen leer; die Besatzungen in Indien, die Festungen in Afrika, die
Aufrechterhaltung des militärischen Prestiges, kurzum, der portugiesische
Imperialismus zieht alles Kapital und alle Tatkraft an sich. So muß ein neues
Experiment versucht werden, de povoar a terra, oder vielmehr eines, das sich
auf den Azoren und Kap Verde bereits bewährt hat: die Förderung der
Kolonisierung durch Privatinitiative. Das soviel wie unbewohnte Land wird
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book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197