Page - 22 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Es bedeutet eine große Entscheidung in der Geschichte Brasiliens, daß der
König João III. den Hilferuf rechtzeitig erhört und als Gouverneur Tomé de
Sousa, einen schon in Afrika und Indien bewährten Mann, am 1. Februar
1549 mit dem Auftrag entsendet, an irgendeiner Stelle, am besten in Bahia,
eine Hauptstadt zu begründen, von der aus das ganze Land endlich einheitlich
verwaltet werden soll.
Tomé de Sousa bringt außer der erforderlichen Beamtenschaft sechshundert
Soldaten und vierhundert Degredados mit, die alle späterhin in der Stadt oder
auf dem Lande sich ansiedeln werden. Auch das Nötigste an Material für den
Aufbau der Stadt wird ausgeschifft, und sofort macht sich alles gemeinsam
ans Werk; in vier Monaten wird eine Festungsmauer errichtet, um den Platz
zu verteidigen, Häuser und Kirchen werden errichtet, wo vordem nur
klägliche Lehmhütten gestanden. Eine koloniale und eine städtische
Verwaltung wird in dem vorläufig noch höchst provisorischen Palácio do
Governo eingerichtet und als sichtbarstes Zeichen einer endlich eingeführten
und schon höchst notwendigen Justiz ein cárcere erbaut, erster mahnender
Hinweis auf den Willen zu strenger künftiger Ordnung. Alle sollen fühlen,
daß sie nicht mehr Ausgesetzte, Vergessene, Exilierte und Heimatlose sind
jenseits von Recht und Pflicht, sondern angeschlossen an das heimische
Gesetz. Mit der Gründung einer Hauptstadt und der Einsetzung eines
Gouverneurs hat der bisher bloß amorphe Organismus Brasilien ein Herz und
ein Hirn gewonnen.
Sechshundert Soldaten oder Matrosen und vierhundert Degredados nimmt
Tomé de Sousa mit sich, tausend Männer im Harnisch oder rauhen
Arbeitshemd; aber wichtiger als diese tausend Männer des Arms und der
Kraft werden für das Schicksal Brasiliens die sechs Männer in schlichten
dunklen Kutten sein, die der König zu geistiger Führung und geistlicher
Beratung Tomé de Sousa mitgegeben. Denn diese sechs Männer bringen das
Kostbarste, was ein Volk und ein Land zu seiner Existenz benötigt: eine Idee
und zwar die eigentlich schöpferische Idee Brasiliens. Diese sechs Jesuiten
haben eine neue und noch ganz unverbrauchte Energie, denn ihr Orden ist
jung und voll heiligen Eifers, seinen besonderen Sinn zu bewähren. Noch lebt
der Führer Ignacio de Loyola, der ihn begründet, noch gibt sein asketischer
Wille, seine eherne Denkkraft, sein zielklarer Fanatismus ihnen sinnliches,
sichtliches Beispiel der Selbstdisziplin; wie bei allen religiösen Bewegungen
ist bei den Jesuiten die seelische Intensität, die sittliche Reinheit in den Jahren
des Anfangs und vor dem eigentlichen Erfolg auf der höchsten Stufe. 1550
sind die Jesuiten noch keine geistliche, weltliche, politische, ökonomische
Macht wie in den späteren Jahrhunderten – denn jede Form von Macht
vermindert die moralische Reinheit eines Menschen wie einer Partei.
Besitzlos in jedem Sinne der einzelne wie der Orden, verkörpern sie nur einen
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197