Page - 30 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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nachgekommenen Brüdern in mühevollen, anstrengenden Fahrten die ganze
Küste von Pernambuco bis hinab nach Santos visitiert, wo er São Vincente
begründet. Aber noch immer hat er nicht die richtige Stelle gefunden für das
Hauptkollegium, für das geistige und geistliche Nervenzentrum, das nach und
nach das ganze Land durchdringen soll. Auf den ersten Blick ist dieses
sorgliche, wohl überlegende Suchen Nóbregas nach einem richtigen
Stützpunkt unverständlich. Warum verlegt er sein Hauptquartier nicht nach
Bahia, der Hauptstadt, dem Sitz des Gouverneurs und des päpstlichen
Bischofs? Aber hier wird man zum erstenmal eines geheimen Gegensatzes
gewahr, der mit der Zeit sich zu einem offenen und schließlich sogar
gewalttätigen auswirken wird. Der Orden Loyolas will nicht unter staatlicher
und nicht einmal unter päpstlicher Kontrolle sein Werk beginnen; den Jesuiten
geht es von der ersten Stunde an bei Brasilien um ein höheres Spiel und Ziel,
als dort bloß ein lehrendes, helfendes, der Krone und der Curie
untergeordnetes Kolonisationselement zu sein. Brasilien bedeutet für sie ein
entscheidendes Experiment, die erste Probe für die Realisationsfähigkeit ihrer
organisatorischen Kraft, und Nóbrega spricht es unumwunden aus: esta terra
é nossa emprêsa, »dieses Land ist unsere Aufgabe« und meint damit: wir sind
für ihre Lösung vor Gott und den Menschen verantwortlich. Verantwortung
will der Starke aber nur allein tragen. Die Jesuiten – dies der Grund des
geheimen Mißtrauens, das sie in Brasilien von Anfang an durch die
Geschichte begleitet – hatten zweifelsohne ein besonderes, ein persönlich
durchdachtes und den andern nicht ganz erkennbares Ziel. Was sie – bewußt
oder unbewußt – anstrebten, war nicht bloß die Heranbildung einer
portugiesischen Kolonie unter all den andern portugiesischen Kolonien,
sondern eine theokratische Gemeinschaft, ein neuartiges, den Kräften des
Geldes und der Gewalt nicht unterworfenes Staatsgebilde, wie sie es ja später
in Paraguay zu gründen versuchten. Von der ersten Stunde an wollten sie mit
Brasilien etwas Einmaliges, etwas Neues, etwas Vorbildliches schaffen, und
eine solche neuartige Konzeption mußte früher oder später mit den bloß
merkantilen und feudalistischen Ideen des portugiesischen Hofes in Konflikt
geraten; sicher ging es ihnen nicht, wie ihre Gegner sie beschuldigten, um
eine Besitznahme Brasiliens im souveränen oder kapitalistischen Sinne für
ihren Orden und dessen Zwecke.
Aber daß sie mehr mit Brasilien wollten als dort bloß Prediger des
Evangeliums sein, daß sie mehr und etwas anderes als die anderen geistlichen
Orden mit ihrer Anwesenheit dort einsetzen und durchsetzen wollten, das
spürte von Anfang an die Regierung, die sich ihrer dankbar bediente und sie
doch mit einem leisen Mißtrauen überwachte, das spürte die Curie, die ihre
geistige Autorität mit niemandem zu teilen geneigt war, das spürten die
Kolonisten, die sich in ihrem rücksichtslosen Raubbau von den
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197