Page - 31 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Ordensbrüdern gehemmt fühlten. Gerade weil sie nichts Sichtbares wollten,
sondern die Durchsetzung eines geistigen, eines idealistischen, und darum den
Tendenzen der Zeit unfaßbaren Prinzips, hatten sie von Anfang ständig
Widerstand gegen sich, dem sie schließlich erliegen mußten, ausgestoßen aus
dem Lande, dem sie trotz allem und allem den Keim der Befruchtung
eingesenkt haben. Es war also vollkommen wohlüberlegt, daß Nóbrega, um
diesen Konflikt der Kompetenzen möglichst lange zu vermeiden, sein Rom,
seine geistige Hauptstadt abseits von der Residenz des Gouverneurs und des
Bischofs anlegen wollte; nur wo er ungehindert und unbeaufsichtigt wirken
konnte, vermochte jener langsame und mühevolle Prozeß der Kristallisierung
zu gelingen, der ihm vorschwebte. Diese Rückverlegung des
Wirkungszentrums von der Küste ins Binnenland bedeutete im
geographischen Sinn wie zum Zweck der Katechisierung einen
wohlerwogenen Vorteil. Nur eine Wegkreuzung im Land, geschützt einerseits
gegen piratische Angriffe von der See her durch die Bergkette und doch nahe
dem Ozean, nahe aber auch anderseits zu den verschiedenen Stämmen, die
der Zivilisation zu gewinnen und aus dem Nomadischen zum Seßhaften zu
erziehen waren, konnte die ideale Keimzelle bilden.
Nóbregas Wahl fällt auf Piratininga, das heutige São Paulo, und die spätere
historische Entwicklung hat die Genialität seiner Entscheidung bestätigt, denn
die Industrie, der Handel, der Unternehmungsgeist Brasiliens sind noch nach
Hunderten von Jahren seiner inspirativen Wahl nachgefolgt; an derselben
Stelle, wo er am 24. Januar 1554 jene paupérrima e estreitíssima casinha im
Verein mit seinen Helfern errichtet, steht heute mit Hochhäusern, Fabriken
und menschenüberfüllten Straßen eine moderne Weltstadt. Nóbrega hätte
nicht besser wählen können. Das Klima auf diesem Hochplateau ist gemäßigt,
die Erde satt und fruchtbar, ein Hafen nahe und durch Flußläufe die
Verbindung mit dem großen Wasserlauf des Paraná und Paraguay und damit
des la Plata gesichert; von hier aus können nach allen Richtungen die
Missionare zu den verschiedenen Stämmen vordringen und ihr
Belehrungswerk radial ausstrahlen lassen. Außerdem besteht vorläufig keine
die Sitten korrumpierende Kolonie von Degredados in der Nähe der kleinen
Siedlung, die bald die Freundschaft der Nachbarstämme durch kleine
Geschenke und gute Behandlung zu gewinnen weiß. Ohne viel Mühe lassen
sich die Eingeborenen von den Priestern zu kleinen aldeias, zu
jenen Wirtschaftsgemeinschaften vereinigen, die ziemliche Ähnlichkeit mit
den heutigen russischen »Kollektivs« haben, und nach kurzer Zeit kann
Nóbrega bereits melden: Vai-se fazendo uma formosa povoação. Noch hat der
Orden nicht wie in späteren Zeiten selbst reichlichen Grundbesitz, und die
sparsamen Mittel verstatten zunächst nur das Kollegium in kleinen
Proportionen zu entwickeln. Aber immerhin werden hier bald eine ganze
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197