Page - 36 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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kriegerischen Aktionen. Am 1. März 1565 segelt Estácio de Sá mit seiner
Kriegsflotte in die Bucht von Rio und schlägt unter dem Pão de Açucar, an
der Stelle des heutigen Urca, sein Lager auf. Aber, unfaßbar für unsere
Vorstellungen von heute, ehe es zu dem Sturm auf den Morro do Castelo –
genau zehn Minuten heutiger Autofahrt – kommt, vergehen ebensoviele
Monate. Erst am 18. Januar 1566 führt Estácio de Sá seine Soldaten zum
Sturm, und in einem Kampf von wenigen Stunden und mit einem Verlust von
zwanzig oder dreißig Mann fällt die welthistorische Entscheidung, ob diese
Stadt in Hinkunft Rio de Janeiro oder Henriville heißen wird, ob Brasilien der
portugiesischen oder französischen Sprachwelt verbleibt – in solchen
Dimensionen von zwei oder drei Dutzend Soldaten wurden damals ebenso in
Indien wie in Amerika Kämpfe ausgefochten, die Form und Schicksal dieses
Weltteils für Jahrhunderte bestimmen sollten. Estácio de Sá selbst bezahlt,
von einem Pfeilschuß verletzt, den Sieg mit seinem Leben. Aber diesmal ist
es ein entscheidender Sieg: die Franzosen fliehen auf ihren Schiffen aus dem
Land und bringen nach Frankreich nichts anderes mit als die Kunde vom
Tabak, den sie zu Ehren des Botschafters Jean Nicot benennen. Auf den
Trümmern der französischen Festung, dem Morro do Castelo, weiht der
Bischof die Kirche der zukünftigen Hauptstadt Brasiliens ein: die Stadt Rio de
Janeiro ist mit dieser Stunde erstanden.
Es war ein liliputanischer Kampf, aber er hat die Einheit Brasiliens gerettet:
Brasilien gehört den Brasilianern. Nun aber gilt es die Kolonie auszubauen,
und dafür bleiben ihr beinahe fünfzig Jahre vollkommenen Friedens.
Langsam schieben sich die Grenzen nach Paraíba, nach Rio Grande do Norte
und ins Innere vor, die Siedlungen der Jesuiten in São Paulo beginnen sich
fruchtbar zu entfalten, die Plantagen an der Küste werden erträgnisreich, und
neben dem ständig steigenden Export von Zucker und Tabak blüht ein
anderes, dunkleres Geschäft, der Import von »schwarzem Elfenbein«. Von
Monat zu Monat werden immer größere Frachten afrikanischer Sklaven von
Guinea und aus dem Senegal herübergebracht, und soweit sie auf der Reise in
den vollgestopften, stinkenden Schiffen nicht verendet sind, auf dem großen
Markte in Bahia verhandelt. Eine Zeitlang droht durch diese Fülle der Neger
und die erstaunliche Anzahl der von den Portugiesen
produzierten mamelucos, dieser Mischlinge aller Schattierungen, der
europäische, der zivilisatorische Einfluß ins Schwinden zu geraten; einer
Handvoll Unternehmer, die sich maßlos bereichern, steht in den
Küstenstädten eine unermeßliche Anzahl farbiger Sklaven gegenüber; ohne
die ausgleichende Arbeit der Jesuiten, die im Innern des Landes überall
Fazenden anlegen und die Bevölkerung zur Seßhaftigkeit erziehen, die die
Ausrottung der Eingeborenen verhinderten und durch Vorurteilslosigkeit die
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197