Page - 37 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Mischung beförderten, wäre Brasilien vielleicht ein afrikanisches Land
geworden, weil Europa sich völlig gleichgültig zeigt. Jedoch Europa, in
hundert Kriege verstrickt, hat keine neuen Kolonisten abzugeben, und nur
wenige Einsichtige finden sich, denen allmählich die Erkenntnis von dem
Werte dieses Landes klargeworden ist; schon 1587 wird Gabriel Soares de
Sousa in seinem »Roteiro« die prophetischen Worte finden: Estará bem
empregado todo cuidado que Sua Majestade mandar ter deste novo reino,
pois está capaz para se edificar nelle hum grande imperio o qual com pouca
despeza deste reino se fará tão soberano que seja hum dos estados do mundo.
Die Stunde aber ist längst vorüber, wo das die halbe Welt beherrschende
Portugal noch irgend jemandem helfen konnte, denn sein großartiger
romantischer Traum, die ganzen drei Erdteile für sich und den christlichen
Glauben zu erobern, ist ausgeträumt. Es hatte dem kleinen, tapferen Lande
nicht genügt, beide Küsten Afrikas, die östliche und die westliche, zu besitzen
und Indien bis hoch hinauf nach China seinem Handelsmonopol unterworfen
zu haben. König Sebastian, der letzte und kühnste Träumer dieses heroischen
Geschlechts, träumt von einem Kreuzzuge, der ein für allemal die
muselmanische Macht vernichten soll. Statt seine besten Kräfte, seine Ritter,
seine Soldaten in den Kolonien zu verteilen und das Reich der »Lusiaden«
durch realistische Organisation zu erhalten, sammelt er wie ein Gralsritter in
silberner Rüstung seine ganze Macht zu einem einzigen Heer und setzt nach
Afrika über, um den maurischen Erbfeind mit einem Schlage zu vernichten.
Aber nicht die Mauren trifft der vernichtende Schlag, sondern ihn selbst, und
in der Schlacht von Alcacer-Quibir, diesem letzten, verspäteten Kreuzzug des
Abendlands gegen das Morgenland, wird 1578 das portugiesische Heer völlig
vernichtet und König Sebastian erschlagen. Die ungeheure Überspannung des
Willens hat sich grausam gerächt: Portugal, das kleine Land, das ein Weltall
sich untertan machen wollte, verliert seine eigene Unabhängigkeit, und
Spanien rafft den freigewordenen Thron an sich. Das von tausend Kämpfen
ausgeblutete Land vermag keinen Widerstand zu leisten; für zweiundsechzig
Jahre, von 1578 bis 1640, verschwindet Portugal als selbständiges Reich aus
der Geschichte. Alle seine Kolonien und somit auch Brasilien werden
spanischer Kronbesitz.
Damit beherrscht für eine Weltstunde Philipp II. ein Weltreich, das jenes
Alexanders und das römische des Augustus weit übertrifft. Außer der
iberischen Halbinsel gehören dem Habsburger noch Flandern und das ganze
erforschte Amerika, drei Viertel von Afrika und das von den Portugiesen
eroberte indische Reich. Und dieses Gefühl der Kraft und der Größe spiegelt
sich in der Kunst Iberiens. Cervantes, Lope de Vega, Calderon schaffen ihre
unvergleichlichen Werke; aller Reichtum der Erde strömt in dies eine
triumphierende Land.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197