Page - 38 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Image of the Page - 38 -
Text of the Page - 38 -
An diesem Triumph hat Brasilien geringen Teil und keinerlei Vorteil; statt
zu gewinnen an Macht, durch die unerbetene Zugehörigkeit zu dem
iberischen Imperium, bekommt die bisher unbehelligte Kolonie alle Feinde
Spaniens ins Haus; englische Piraten plündern Santos, verbrennen São
Vincente, die Franzosen setzen sich zeitweise am Maranhão fest, die
Holländer brechen in Bahia ein und räubern dort die Schiffe. Schmerzhaft
muß es Brasilien fühlen, wieviel neue Mächte seit der Vernichtung der
Armada Spanien die Herrschaft über das Meer streitig machen. Keine dieser
piratischen Einzelaktionen kommt freilich tief unter die Haut, es sind bloß
kleine Schädigungen und Beunruhigungen, die der raschen Entwicklung
nichts anhaben können. Gefährlich wird die Situation für Brasilien erst, da in
Holland ein geregelter und wohldurchdachter Plan einsetzt, nicht bloß Häfen
zu plündern, sondern het Zuikerland, wie diese guten Kommerzleute Brasilien
nach seinem besten Handelsartikel benennen, als Ganzes zu erobern.
Holland, wirtschaftlich vorbildlich organisiert, weiß genau um den Wert
Brasiliens, und kaum dürfte das Wort in den »Diálogos das grandezas do
Brasil« (1618) seinen wachsamen Kaufleuten entgangen sein, daß als Ganzes
Brasilien mehr Reichtümer besitze als Indien. So ist es wohl kein Zufall, daß
1621 nach dem Vorbild der indischen Compagnie in Amsterdam eine
Compagnie »das Índias Ocidentais« mit großem Kapital begründet wird –
angeblich bloß um Handel mit Brasilien und Südamerika zu treiben, in
Wirklichkeit mit dem Hintergedanken, dieses gewaltige Reich für Holland
und sein Handelsmonopol in Besitz zu nehmen. In dieser Compagnie sitzen
gute Rechner, die einsehen, daß man für ein so großes Ziel auch große
Investitionen einsetzen muß; um Brasilien zu besetzen und noch wichtiger,
um es dann festzuhalten, darf man nicht, wie es die Franzosen getan, zwei
oder drei Schiffe mit europamüden Kolonisten und rasch angemieteten
Matrosen ausschicken, sondern muß eine wirkliche Flotte ausrüsten und in
dieser Flotte eine geschulte Armee. Nichts zeigt die Entwicklung und die
Wichtigkeit, die Brasilien in dem letzten halben Jahrhundert für die Welt
bekommen hat, sinnfälliger als die veränderten Dimensionen. Während
Villegaignon mit drei oder vier Schiffen landet, um die »France Antarctique«
zu erobern, und sich dann die entscheidenden Kämpfe zwischen siebzig und
hundert Mann improvisierter Kriegerschaft abspielen, rüstet die holländische
Compagnie von Anfang an sechsundzwanzig Schiffe aus mit siebzehnhundert
geschulten Soldaten und sechzehnhundert Matrosen.
Der erste Schlag gilt der Hauptstadt. Am 9. Mai 1624 wird Bahia fast ohne
Widerstand genommen und unermeßliche Beute weggeschleppt. Nun erst
wacht Spanien auf; über fünfzig Schiffe mit elftausend Mann werden
entsandt, die Bahia vereint mit den einheimischen Hilfstruppen aus
Pernambuco zurückerobern, ehe die zweite Flotte der Holländer mit
38
back to the
book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197