Page - 39 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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vierunddreißig Schiffen eintrifft: bereits haben sich in Erkenntnis des Werts
der bisher mißachteten Kolonie die Anstrengungen verhundertfacht, das
»Zuckerland« zu behaupten. Genötigt, in Bahia zurückzuweichen, rüstet die
holländische Compagnie zu einem neuen Angriff mit neuen Verstärkungen
und hat damit Erfolg. 1635 wird Recife und in den folgenden Jahren außer
Bahia die ganze Nordküste besetzt. Von dieser Stunde an besteht durch
dreiundzwanzig Jahre im Norden Brasiliens eine selbständige holländische
Verwaltung.
Die kolonisatorische Leistung dieser dreiundzwanzig holländischen Jahre
ist allerdings eine großartige. Sie übertrifft bei weitem alles, was die
Portugiesen vordem in hundert Jahren getan. Die Holländer haben klare und
erprobte Organisationsideen. Sie überlassen die Einwanderung und
Verwaltung nicht zufälligen anarchischen Elementen, sie senden nicht
den Abhub ihres Landes, sondern ihre besten und vorsorglich ausgewählten
Männer. Moritz von Nassau, der als Gouverneur der Krone das neue Land
verwaltet, stammt nicht nur aus königlichem Blut, sondern ist auch im
geistigen Sinn ein Edelmann, weitsichtig, großzügig und tolerant. Er bringt
einen ganzen Generalstab von Fachleuten, Ingenieuren, Botanikern,
Astronomen, Gelehrten, um das Land zu erforschen, zu kolonisieren, zu
europäisieren. Und nichts ist typischer für die Minderwertigkeit des
kulturellen Materials, das die Portugiesen im Vergleich zu den Franzosen und
Holländern nach Brasilien entsandten, als daß wir über die erste Jugendzeit
Brasiliens keine einzige wirklich literarisch gültige Beschreibung von
irgendeinem Portugiesen außer den Briefen der Jesuiten besitzen, während die
Franzosen nach wenigen Jahren schon das Werk über die »France
Antarctique« der Welt geben und Moritz von Nassau durch Barleus jenes
vorbildliche Prachtwerk mit Kupfern und Plänen anfertigen läßt, das seinen
Ruhm und seine Leistung verewigt.
Moritz von Nassau macht gute Figur in der brasilianischen Geschichte. Er
hat als Humanist die Idee der Toleranz mitgebracht, allen Religionen freie
Wirkung verstattet, allen Künsten fruchtbare Entwicklung ermöglicht, und
selbst die alten Ansiedler können über keine Gewalttätigkeit klagen. In
Recife, ihm zu Ehren Mauritsstaad benannt, werden Paläste, steinerne Häuser
und saubere Straßen gebaut, das umliegende Land von Geographen
durchforscht. Für die Zuckerindustrie werden neue hydraulische Pressen
eingeführt, in den Handel die Kaufleute eingeschaltet, die aus Portugal
geflüchtet waren, das ganze öffentliche Leben auf Stabilität und Entwicklung
eingestellt. Den Portugiesen bleiben ihre Rechte gewahrt, den Eingeborenen
ihre Freiheit. In gewissem Sinn verwirklicht Moritz von Nassau das gleiche
Ideal der friedlichen Besiedlung, wie es die Jesuiten auf religiöser Grundlage
anstrebten, im Geiste der Humanität.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197