Page - 40 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Aber nicht in Brasilien wird das Schicksal Brasiliens entschieden, sondern
in Europa. 1640 hat sich Portugal wieder von Spanien losgelöst und unter
Dom João IV. seine eigene Krone zurückgewonnen. Dadurch ist eine weitere
Okkupation durch Holland ohne jede rechtliche Grundlage. Ein
Waffenstillstand gibt beiden Teilen Rast, und da seinerseits Holland, die neue
Seemacht, mit der noch jüngeren Seemacht Englands in Konflikt gerät, kann
der Kampf um die Befreiung Brasiliens wiederaufgenommen werden; zum
erstenmal sind es nationale brasilianische Kräfte, die ihn entfachen. Es ist
diesmal nicht so sehr Portugal, sondern schon die Kolonie selbst, die um ihre
Einheit und Unabhängigkeit ficht. Wieder sind es kirchliche Elemente,
welche die Führung übernehmen, weil sie die vitale Wichtigkeit erkennen, das
neue Land unversehrt von jeder Infiltrierung durch protestantische Elemente
zu erhalten, deren Anwesenheit den mörderischen Religionskrieg aus Europa
nach Brasilien übertragen könnte. 1649 gründet der Pater António Vieira,
einer der genialsten Diplomatenfiguren seiner Zeit, in Lissabon eine
Gegencompagnie gegen die holländische, die »Companhia Geral de Comércio
para o Brasil«, die aus eigener Initiative eine Flotte ausrüstet, und gleichzeitig
improvisiert sich im Lande im Verein mit den einheimischen Handelsleuten,
die ihre Plantagen und Zuckerwerke zurückgewinnen wollen, eine nationale
Armee. Und nun geschieht das Überraschende: während Portugal mit Holland
noch verhandelt, ob und wann und wieviel von Brasiliens Küste ihm
verbleiben solle, und ehe noch die Flotte, die Portugal zur Stützung senden
will, herübergekommen ist, haben die Brasilianer die Initiative auf eigene
Faust übernommen; Schritt für Schritt werden die Holländer zurückgedrängt,
Moritz von Nassau verläßt das Land, und am 6. Januar 1654 kapituliert
Recife, ihre letzte Festung; die Holländer ziehen sich endgültig zurück.
Während das Traumreich der Lusiaden ebenso rasch entschwindet, wie es der
schöpferische Augenblick Portugals gebaut, bleibt Brasilien unversehrt sich
selbst erhalten.
Im ganzen bedeutet die holländische Episode in der Geschichte Brasiliens
einen Glücksfall. Sie hat lange genug gedauert, um durch vorbildliche
Verwaltung darzutun, was in diesem Lande bei guter, zivilisierter
Organisation geleistet werden kann, und dauert doch anderseits nicht lange
genug, um die Einheit der portugiesischen Sprache und der portugiesischen
Sitte zu brechen; im Gegenteil: gerade die Bedrohung durch eine
Fremdherrschaft erschafft und fördert erst das brasilianische Nationalgefühl.
Von Norden bis Süden empfindet sich jetzt diese Kolonie als ein
zusammengehöriges Land, das einhellig entschlossen ist, jede gewaltsame
Einwirkung auf sein nationales Leben ebenso gewaltsam aus seinem
Organismus auszuscheiden: alles Fremde muß sich von nun ab dem
Brasilianischen amalgamieren, wenn es sich behaupten will. Scheinbar ist mit
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197