Page - 46 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Meister ihrer Lebensform, die Jesuiten, die im Lande immer unbeliebter
wurden, je mehr sich ihre Organisation ins Kommerzielle und Geschäftliche
wandte und mit den einheimischen Kolonisten konkurrierte, haben auf Befehl
Pombals das Land verlassen müssen, aber damit ist den Brasilianern
keineswegs Macht und Recht über ihr eigenes Schicksal gegeben; die
Vizekönige verwalten das Land ausschließlich zum Vorteil Portugals und
nehmen wenig Anteil an seiner selbständigen Entwicklung. Langsam,
heimlich, aber unaufhaltsam bildet sich eine antiportugiesische Partei oder
vielmehr eine, die damals noch leicht mit der bloßen Gewährung der
Gleichberechtigung und freiem Welthandel zu beschwichtigen wäre. An sich
ist der Brasilianer weder radikal noch revolutionär; mit einer leichten und
geschickten Hand wäre das Land noch ohne Schwierigkeiten festzuhalten.
Aber für seine Wünsche hat man in Lissabon kein Verständnis, und selbst
Pombal, der Portugal vergebens zu aufgeklärteren und zeitgemäßeren
Anschauungen zu veranlassen suchte, gewährt trotz einzelner ökonomischer
Verbesserungen Brasilien nicht die volle organische Entfaltung seiner Kräfte;
die als Palliativ, als Beruhigungsmittel von ihm befohlene Austreibung der
Jesuiten, die unter heftigem Widerstand der ihnen anhängenden Siedlungen
sich vollzieht, erweist sich in keiner Weise dem Lande als moralischer Vorteil
oder als materieller Gewinn; im Gegenteil, die Feindseligkeit, welche die
Kolonisten bisher diesen geistlich-kommerziellen Organisatoren
entgegenbrachten, wendet sich jetzt geschlossen gegen das Mutterland. Schon
vordem waren mehrmals in Minas Gerais, in Bahia und Pernambuco einzelne
Aufstände gegen die Fiskalbeamten Portugals aufgeflackert, aber, weil nicht
gemeinsam verbunden, mit Gewalt niedergeschlagen worden. Meist waren es
bloß lokale Revolten gegen eine neue Besteuerung oder Beschränkung
gewesen, impulsive Ausbrüche einer zusammengerotteten Masse und darum
der Autorität Portugals nicht wirklich gefährlich. Erst zu Ende des
Jahrhunderts setzt eine voll ihres Zieles bewußte, von Idealismus getragene
nationale Bewegung ein mit den Verschwörern der Inconfidência Mineira.
Die Inconfidência ist eine Verschwörung junger Leute und darum eine
romantische, mit kühnen Reden und schwungvollen Gedichten, ungeschickt
in der Vorbereitung und doch vom Geist der Zeit getragen in ihrer
Entschlossenheit. 1788 hatte eine Gruppe junger brasilianischer Studenten an
der Universität Montpellier lebhaft die Notwendigkeit einer nationalen
Befreiung diskutiert und sogar schon mit Jefferson, dem Pariser Gesandten
der Vereinigten Staaten, Fühlung gesucht, um ihrer Sache die Hilfe der
nordamerikanischen Republik zu gewinnen. Eine wirkliche Aktion kam nicht
zustande, aber die Idee blieb lebendig, und sofort wie einige dieser Studenten
dann nach Ouro Preto, der damals geistig regsamsten Stadt, zurückkehrten,
formt sich eine revolutionär gesinnte Gruppe unter Führung des aus Coimbra
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197