Page - 61 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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für Portugal zunächst ein Eroberungsproblem darstellen, erweist sich dieses
noch völlig unorganisierte Land von Anfang an als ein Kolonisationsproblem,
ein Investitionsproblem.
Als ersten Versuch einer solchen Überpflanzung und Anpflanzung eines in
Brasilien nicht heimischen Produkts bringen die Portugiesen von Cap Verde
das Zuckerrohr herüber. Und gleich dieses früheste Experiment gelingt
vollkommen – immer vollbringt die Natur in Brasilien in überschwenglicher
Weise jede ihr zugemutete Leistung. Das Zuckerrohr bedeutet ein absolut
ideales Produktionsobjekt für ein noch unorganisiertes Land, weil seine
Pflanzung und Ausbeutung nur die allergeringste manuelle Arbeit erfordert
und keinerlei Vorbildung. Kaum in die Erde gepflanzt, schießt hier die Staude,
ohne weitere Wartung zu verlangen, doppel-daumendick empor, und dies
sechsmal und zehnmal im Jahr; mit den einfachsten, leichtesten Methoden
entpreßt man ihr den kostbaren Saft. Es genügt, das Zuckerrohr zwischen
zwei Holzrollen zu legen; zwei Sklaven – da ein Ochse zu teuer wäre –
umwandern in einer Art Tretmühle den waagerechten Schwengel. Ihr
unermüdlicher Rundgang preßt immer wieder und wieder die Rollen
zusammen, bis die letzte Unze Sirup dem Stengel entrungen ist. Dieser weiße,
klebrige Ausfluß wird dann verkocht und zu Klumpen und Zuckerhüten
geformt, die ausgelaugten Stengel dienen dann noch als Maische, die
verbrannten Blätter als Asche der Landwirtschaft. Diese erste und primitivste
Fabrikationsmethode verbessert sich in vielfachen Versuchen; bald werden
die engenhos, solche kleine Fabriken, an Wasserläufen angelegt, um statt der
menschlichen Kraft die hydraulische zu verwerten. Aber in allen Formen
bleibt die Zuckergewinnung ein Prozeß bequemster Art und überdies der
denkbar ergiebigste. Mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit verwandelt sich
der weiße Zucker, den die schwarzen Sklaven aus den braunen Stangen mit
den grünen Blättern pressen, in gelbes, schweres Gold. Denn in Europa ist,
seit es auf den Kreuzzügen die erste Berührung mit der verfeinerten und
raffinierten orientalischen Welt erfahren hat, eine ungestüme Gier einerseits
nach scharfen, stimulierenden Spezereien und anderseits nach Süßigkeiten
und Leckereien ausgebrochen. Reich geworden durch den aufblühenden
Handel, will es nicht weiterhin seine spartanisch karge, monotone Kost und
sucht nach feinerer und nuancierterer Gaumenlust. Die matte Süßung, die
man bisher einzig dem Honig entlockte, genügt ihm nicht mehr. Seit es
einmal von diesem neuen starken Süßstoff, dem Zucker, gekostet, verlangt es
mit kindischem Starrsinn immer mehr von dieser lukullischen Speise. Und da
es noch drei Jahrhunderte dauern wird, ehe Europa – zur Zeit der
Kontinentalsperre – sich Zucker aus der heimischen Rübe gewinnen wird,
muß er vorerst als Luxusprodukt von exotischen Zonen geholt werden, und
die Kaufleute, einer immer steigenden Kundschaft gewiß, zahlen für diese
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197