Page - 63 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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paralysieren. Aber wie dann die Seuche und mit ihr die Angst vorüber ist,
haben sich die Menschen ähnlich wie beim Cognac, der vorher nur als
Heilmittel dosiert wurde – an den Tabak durch das ständige Rauchen bereits
gewöhnt und wollen ihn ebensowenig entbehren wie Essen und Trinken. Von
Jahr zu Jahr begehrt Europa größere Massen, und auch für diesen Großbedarf
etabliert sich Brasilien als Großlieferant, denn der Tabak wächst hier wild,
und seinen Blättern wird die beste Qualität zuerkannt. Ebenso wie sein
Bruder, der Zucker, erfordert der Tabak keine umständliche Pflege und
Wartung. Man braucht nur die Blätter von dem ohne weitere Bemühungen
aufwachsenden Strauch abzureißen, zu trocknen, zu rollen, und das hier fast
Wertlose wandert als wertvolle Ware zum Schiff.
Zucker, Tabak und in geringerem Umfang noch Schokolade, das dritte
begehrliche Objekt neumodischer europäischer Geschmacklüsternheit,
bleiben die drei Hauptpfeiler, die Brasiliens Wirtschaft bis ins achtzehnte
Jahrhundert stützen. Ihnen gesellt sich, sobald Europa gelernt hat, Baumwolle
zu verspinnen, noch der Coton, der algodão, als vierter Bruder hinzu. Die
Baumwolle ist von Anfang an in Brasilien heimisch, sie wächst wild in den
Wäldern des Amazonas und in anderen Provinzen, aber im Gegensatz zu den
höher kultivierten Azteken und Peruanern wußten die Eingeborenen noch
nicht die Fäden zu verspinnen; einzig im Kriege verwerteten sie die Flocken
auf ihren Pfeilen, um damit fremde Niederlassungen in Brand zu setzen, und
im Gebiet des Maranhão diente die Baumwolle kurioserweise sogar als
Zahlungsmittel. Noch weniger weiß Europa zunächst mit der Baumwolle zu
beginnen; obwohl schon Columbus einige Flocken dieser weißen Wolle nach
Spanien mitbringt, wird niemand ihrer zukünftigen Bedeutung als Textilstoff
gewahr. In Brasilien dagegen wissen die Jesuiten, offenbar durch Berichte aus
Mexiko belehrt, schon 1549 um seine Eignung und unterweisen die
Eingeborenen, ihn in ihren aldeias zu verspinnen. Wirklicher
Großhandelsartikel kann der Coton aber erst durch die Erfindung der
Spinnmaschinen werden (1770–1773), mit denen die sogenannte »industrielle
Revolution« einsetzt. Vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts an benötigt
insbesondere England, das über eine Million Textilarbeiter beschäftigt, für
seine Weltproduktion immer größere Quantitäten und zahlt immer bessere
Preise. So wird Baumwolle, die früher wild in den Wäldern wuchs, jetzt in
Brasilien systematisch angepflanzt; schon zu Beginn des neunzehnten
Jahrhundert stellt der Export an algodão beinahe die Hälfte der
brasilianischen Gesamtausfuhr dar und damit die Rettung des
Handelsequilibriums; der scharfe Preisrückgang des Zuckers wird durch diese
gigantische Ausfuhr in einer jener raschen und glücklichen Umstellungen
ausgeglichen, die für die Wirtschaftsgeschichte Brasiliens so typisch sind.
Alle diese Rohstoffe, Zucker, Tabak, Kakao und Baumwolle, werden nur
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197