Page - 65 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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überdies noch der Einfuhrzoll von dreitausend bis dreitausendfünfhundert
Reis (3 bis 3½ Milreis), den der allerchristlichste König von Portugal bei
diesem dunklen Geschäft für jeden einzelnen Sklaven sofort bei der
Alfandega, dem Zollamt einfordert und einkassiert. Trotz dieses hohen
Preises bleibt doch für den Fazendabesitzer die Anschaffung von
Negern ebenso unentbehrlich als die von Hacke und Pflug. Ein kräftiger
Neger arbeitet, wenn ab und zu gründlich gepeitscht, zwölf Stunden, ohne
dafür eine Entlohnung zu bekommen; außerdem stellt die Investition nicht
bloß eine einmalige Kapitalanlage dar, sondern auch eine zinsenbringende,
denn der Negersklave vermehrt selbst in seinen wenigen Mußestunden noch
den Besitz des Herrn durch die Kinder, die er zeugt, und die
selbstverständlich als neue kostenlose Sklaven in den Besitz des Herrn
übergehen; ein Negerpaar, im sechzehnten Jahrhundert erworben, schafft der
Familie seines Herrn in zwei oder drei Jahrhunderten ein ganzes
Sklavengeschlecht. Diese Sklaven stellen die motorische Kraft dar, die den
Betrieb der großen Fazenden in Schwung hält, und da die Erde selbst in dem
ungeheuren Land fast wertlos ist, mißt sich der Reichtum eines
Plantagenbesitzers ebenso an der Anzahl von Negern, wie man in der
Feudalzeit Rußlands das Vermögen eines Gutbesitzers nach der Anzahl der
»Seelen«, die er eignete, maß. Bis tief in das neunzehnte Jahrhundert sind die
Sklaven in immer anwachsender Masse die eigentlichen Träger der
Wirtschaft. Auf ihren Schultern lastet das ganze Gewicht der kolonialen
Produktion, während die Portugiesen nur als Beamte, Aufseher oder
Unternehmer den ständigen Lauf dieser von Millionen schwarzen Armen in
Schwung gehaltenen Arbeitsmaschine überwachen und dirigieren.
Diese allzu scharfe Zweiteilung in Schwarz und Weiß, in Herren und
Sklaven ist von allem Anfang an bedenklich, und sie hätte ohne die
ausgleichende Gegenleistung der im Binnenland einsetzenden Kolonisation
unaufhaltsam die Einheit Brasiliens zerspalten. Ohnehin entbehrt in den
Anfangszeiten das weite Land noch seines statischen Gleichgewichts, denn
im ersten und tief bis ins zweite Jahrhundert sammelt sich alle tätige Kraft
und darum aller Blut- und Menschenzudrang im Norden. Für die damalige
Welt bedeutete – sehr im Gegensatz zu dem Niedergang von heute – die
tropische Zone Brasiliens die eigentliche Schatzkammer; dort staut sich die
ökonomische Leistung solange zusammen, bis die erste und hastigste Gier
Europas nach kolonialen Produkten gesättigt ist. Bahia, Recife, Olinda,
Pernambuco entfalten sich aus bloßen Umschlagplätzen zu wirklichen Städten
und bauen Kirchen und Paläste zu einer Zeit, da im Binnenland sich erst ganz
schüchterne Hütten und hölzerne Kirchen erheben. Hier landen oder laden
unablässig europäische Schiffe, hier strömt ständig der schwarze Rohstoff der
Sklaven ein, hier werden neun Zehntel aller kolonialen Waren über den Ozean
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197