Page - 67 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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die disziplinierte Kraft von Männern, die ihr ganzes Leben an eine Idee
verschworen haben, durchzusetzen vermag: die Zivilisierung des Menschen
durch die Kultivierung der Erde; nichts von alledem, was diese ersten Lehrer
mit sich bringen an BĂĽchern und Medizinen und Werkzeugen und Pflanzen
und Tieren, ist von solcher belebender und tonischer Kraft fĂĽr die
Entwicklung gewesen als diese starre und doch glĂĽhende Energie dieses
Dutzends Menschen. Rasch wie alles in Brasilien – wachsen und entfalten
sich diese ersten aldeias, diese jungen Siedlungen, und mit gerechtem Stolz
können die Jesuiten bald in ihren Briefen berichten, wie glücklich diese
Bindung sich erfĂĽllt, die Bindung der Erde mit den Menschen und die
Mischung zwischen Weißen und Eingeborenen zu einem neuen tätigen
Geschlecht. Schon glauben die Väter ihr Werk gelungen; São Paulo, erst die
Stadt und dann die Provinz, besiedelt sich, immer weiter ins Land greifen
die aldeias aus. Aber die eigentliche Eroberung des Landes wird nicht auf
dem stillen, friedlichen und planhaften Wege vor sich gehen, den sie
vorausgesehen, sondern auf einem anderen Weg. Immer liebt die Geschichte,
wenn sie eine Idee erfĂĽllen will, von dem vorbereiteten Menschenplan
abzuweichen und ihren eigenen Weg zu gehen, und so auch diesmal. Die
Jesuiten haben ein junges Geschlecht auf dem Boden angesiedelt mit dem
Vorsatz, sie sollten ihn bebauen. Aber schon die neue Generation der
Mamelucos, der Mischlinge, bricht aus den Grenzen, die die frommen Väter
gesetzt haben, ungeduldig vor. Noch ist die nomadisch schweifende Lust ihrer
braunen Voreltern und anderseits die zĂĽgellose Wildheit der ersten Kolonisten
in ihrem Blut lebendig. Warum die Erde selbst bebauen, statt sie von andern,
von Sklaven bebauen zu lassen? Bald werden die Halbbraunen die
schlimmsten Feinde der Braunen, die Söhne der Eingeborenen, deren Väter
die Jesuiten vor dem Sklaventum gerettet, die grimmigsten Sklavenhändler,
und gerade in SĂŁo Paulo, das die Jesuiten als eine Stelle der sittlichen
Reinheit und der geistigen Einheit erträumt, entsteht das neue
Conquistadorengeschlecht, die Paulistas, die bald die bittersten Feinde der
Jesuiten und ihrer kolonisatorischen BemĂĽhungen werden. Zusammengerottet
zu einer kriegerischen Truppe, durchziehen diese bandeirantes (merkwĂĽrdig
den afrikanischen Sklavenjägern ähnlich) auf ihren entradas das Land,
zerstören die Niederlassungen, rauben sich Sklaven, nicht nur aus dem
Urwald, sondern auch von Scholle und Pflug, und doch erfüllen sie – nur
rascher und brutaler und gewalttätiger – das jesuitische Prinzip des radial
nach allen Seiten Vordringens. Von jedem dieser zerstörenden Züge bleiben
einige Paulisten an den Wegkreuzungen zurĂĽck, es bilden sich
Niederlassungen und sogar Städte im Rücken der mit Tausenden von Sklaven
heimkehrenden Raubtruppen. Der fruchtbare SĂĽden beginnt sich mit
Menschen und Viehstand zu beleben, der Typus der vaqueiros, des
Viehzüchters und des gaucho formt sich heraus neben dem trägeren und
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂźen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug ĂĽber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197