Page - 71 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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eigentlich ohne bestimmtes Ziel. Sie wollen nur etwas finden und
heimbringen, vielleicht Sklaven, vielleicht Vieh, vielleicht ein kostbares
Metall. Dann kommt der unvermutete Fund: einer von ihnen, man weiß nicht,
ob auf geheime Kunde hin oder durch bloßen Zufall, entdeckt im Sand die
ersten Körner angeschwemmten Goldes und bringt sie in einer Flasche nach
Rio de Janeiro. Und wie immer genügt der erste Blick auf dieses
geheimnisvoll neidfarbene Metall, und eine wilde Völkerwanderung setzt ein.
Von Bahia, von Rio de Janeiro, von São Paulo hasten die Leute heran, zu
Pferd, zu Esel, zu Maultier, zu Fuß und in Barken den São Francisco empor.
Matrosen verlassen – hier hat der Regisseur die Massenszenen einzusetzen –
ihre Schiffe, die Soldaten ihre Garnisonen, Kaufleute ihre Geschäfte, Priester
ihre Kanzeln, und in schwarzen Herden werden die Sklaven herangetrieben in
diese Wildnis. Für den ersten Augenblick droht der scheinbare Glücksfall eine
beispiellose Wirtschaftskatastrophe für das ganze Land zu werden. Die
Zuckerfabriken, die Tabakplantagen stocken, weil ihre Leiter sie verlassen
und die Sklaven mitgetrieben haben, um dort in einer Woche, in einem Tag
soviel zu raffen, wie bei geduldiger, zielbewußter Arbeit in einem Jahr. Die
Schiffe können nicht verladen, die Transporte nicht geführt werden. Alles
stockt und steht still, und die Regierung muß eigene Gesetze erlassen, um die
Desertion der arbeitenden Kräfte ins Innere zu verhindern. Aber während in
den Küstenstädten eine Katastrophe droht durch die plötzliche Entvölkerung,
so droht umgekehrt dem Golddistrikt durch die plötzliche Übervölkerung das
ewige Midasschicksal der Hungersnot bei goldenen Schüsseln. Es gibt
Goldstaub und Goldkörner in Fülle, aber es gibt kein Brot und keinen Mais
und keinen Käse und keine Milch und kein Fleisch, um die Zehntausende, die
vielleicht Hunderttausende zu verköstigen in dieser Bergwildnis ohne Vorräte,
ohne Viehstand und ohne Frucht. Glücklicherweise treibt die Aussicht, ihre
Ware zum fünffachen, zum zehnfachen Preis und diesen noch in barem Gold
bezahlt zu bekommen, die Kaufleute zu verzehnfachter Anstrengung. Immer
größere Mengen von Lebensmitteln und anderen Waren wie Hacken und
Schaufeln und Siebe werden zu Fluß und zu Land in die Wildnis befördert. Im
Lande bahnen sich Wege, der bishin stilliegende, blau vor sich hinträumende
Fluß São Francisco, der sonst in Monaten kaum ein Segel gesehen, wird eine
belebte Straße. Hinauf und hinab fahren, von Sklaven getrieben, die Boote;
die Ochsen schleppen die Karren dann weiter, und zurück strömt in kleinen
Ledersäcken lose oder schon halb gemünzt das erträumte Gold. Eine
fieberhafte Tätigkeit ist plötzlich über dies ruhige und beinahe schläfrig
arbeitende Land gekommen. Aber es ist wie immer ein böses Fieber, das
Goldfieber. Es erregt die Nerven, es erhitzt das Blut, es macht die Augen
gierig und die Sinne verwirrt. Bald beginnen erbitterte Kämpfe; die ersten
Entdecker, die Paulistas, wehren sich gegen die Spätergekommenen,
die Emboabas. Was einer mühsam gerafft, holt der andere mit einem
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197