Page - 72 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Dolchstich an sich, und in das Tragische mischt sich grotesk das Lächerliche.
Menschen, die gestern noch Bettler waren, stolzieren in lächerlichen
Prunkgewändern herum, an den Spieltischen verlieren Deserteure und
Lastträger beim Würfelspiel ganze Vermögen und – opernhafter Abschluß des
ersten Aktes – bei diesem wilden Durchwühlen der Erde gleichzeitig an
tausend Stellen wird in der Nähe von Diamantina gefunden, was noch
kostbarer ist als das Gold: der Diamant.
Zweiter Akt: eine neue Hauptfigur tritt auf, der portugiesische Gouverneur
als Wahrer des Kronrechts. Er ist gekommen, um die neuentdeckte Provinz zu
überwachen und vor allem, um das dem König zustehende Recht auf ein
Fünftel zu sichern; hinter ihm marschieren die Soldaten, reiten die Dragoner,
um Ordnung zu schaffen. Ein Münzhaus wird eingerichtet, in dem alles
gefundene Gold zum Schmelzen abgeliefert zu werden hat, damit genaue
Kontrolle geübt werden kann. Aber die wilde Rotte will keine Kontrolle; ein
Aufstand bricht aus, der mit unerbittlicher Hand niedergeschlagen wird. Nun
wird langsam aus dem wilden Abenteuer eine geregelte und von der
königlichen Autorität streng überwachte Fabrikation. Nach und nach
entwickeln sich in dem kleinen Goldgebiet weiträumige Städte, Vila Rica,
Vila Real und Vila Albuquerque, die in ihren Hütten und hastig aus Lehm
aufgerichteten Häusern hunderttausend Menschen sammeln, mehr als New
York und mehr als jede amerikanische Stadt zu jener Zeit, Städte, von denen
heute kaum mehr jemand weiß, und Städte, von denen auch die damalige Welt
kaum mehr als eine ungewisse Ahnung hatte. Denn Portugal ist entschlossen,
seinen Schatz zu hüten und keinen Ausländer auch nur eine Stunde an diese
goldene Quelle heranzulassen. Das ganze Gebiet wird gewissermaßen mit
einem eisernen Gitter umschlossen; an allen Straßenkreuzungen werden
Schlagbalken aufgerichtet, überall patrouillieren Tag und Nacht Soldaten,
kein Reisender darf die Zone betreten, kein Goldgräber sie verlassen, ohne
nicht vorher sorgfältig untersucht worden zu sein, ob er nicht etwa Goldstaub
mit sich führe, den er ungerechtfertigterweise dem Schmelzhaus und der
Tesouraria entzogen; fürchterlich sind die Strafen, mit denen jede Übertretung
geahndet wird. Niemand darf Nachricht geben über das Land, Brasilien und
seine Schätze, kein Brief wird herausgelassen, und ein Buch, das Antonil, ein
italienischer Jesuit, über die »Reichtümer Brasiliens« geschrieben, von der
Zensur unterdrückt. Kaum daß Portugal bewußt geworden ist, welches
Wertobjekt es an Brasilien besitzt, bringt es alle Künste der Überwachung ins
Spiel, um die gefährliche Eifersucht und Habgier der anderen Nationen
fernzuhalten. Nur der Hof und die Beamten der Tesouraria dürfen wissen, an
welchen Stellen Gold und an welchen Stellen Diamanten gefördert werden,
und wie hoch der Anteil der Krone ist, und noch heute vermag eigentlich
niemand die Ausbeute dieses Jahrhunderts verläßlich zu errechnen. Aber
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197