Page - 73 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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darüber, daß sie ungeheuer gewesen sein muß, kann kein Zweifel herrschen,
denn nicht nur jenes Fünftel strömt in die längst seicht gewordenen Kassen,
sondern jeder Diamant über zweiundzwanzig Karat hat ohne Entschädigung
abgeliefert zu werden, und dazu kommt noch der Gewinn aus den
Warenbeständen, die für die plötzlich reichgewordene Kolonie eingeführt
werden, und der gesteigerte Ertrag an dem Umschlagszoll auf die Sklaven, die
in verdoppelter Anzahl zur rascheren Ausbeutung importiert werden müssen.
Nun erst ist Portugal gewahr geworden, daß es, als es alle seine indischen und
afrikanischen Reiche verlor, doch die wertvollste seiner ȟberseeischen
Provinzen« gerade mit dem Lande behielt, das seine »Lusiaden« nicht
besungen und das nur seine Ärmsten und Ausgestoßenen besiedelt.
Der dritte Akt dieser Tragikomödie des Golds spielt ungefähr siebzig Jahre
später und bringt die tragische Wendung. Die erste Szene ist Vila Rica und
Vila Real, verändert und doch unverändert. Unverändert die Landschaft mit
ihren dunkelgrünen oder nackten Bergen, mit dem unwillig durch die engen
Täler sich vorstoßenden Fluß. Verändert aber die Stadt; hohe, helle, mächtige
Kirchen, innen mit Bildwerk und Skulpturen reich geschmückt, haben sich
hoch auf den Hügeln erhoben, um den Palast des Gouverneurs sich stattliche
Häuser geschafft; eine ansehnliche und vermögende Bevölkerung hat sich
gesammelt, aber es ist nicht die verschwenderische, die fröhlich belebte mehr
von gestern und vorgestern. Etwas ist fort, was den Straßen und Tavernen und
Geschäften die lebendige Regsamkeit gab, etwas ist fort, das die Blicke der
Menschen erleuchtete, ihre Bewegungen frischer und lebendiger machte,
etwas ist fort, was die Atmosphäre hier feurig und fiebrig machte. Und dieses
Etwas ist das Gold. Noch immer strömt und schäumt der Fluß und wirft in
seinem Lauf zerriebenes Gestein als Sand an die Ufer, aber soviel man ihn
auch schütteln mag in Sieben und gewässert durch Abläufe treibt, er bleibt
nur wertloser Sand. Nicht mehr finden sich wie einst die schweren,
glänzenden Körner darin, vorbei sind die Jahre, wo, um sich zu bereichern, es
genügte, fünfzig oder hundert Sklaven hinzustellen, die in Holzschüsseln den
Sand schwenkten und schwenkten und schwenkten und dann unten am
Grunde jedesmal ein paar Unzen der vollwichtigen Körner blieben. Das Gold
des Rio das Velhas war nur Schwemmgold gewesen, Oberflächengold und ist
nun abgeschöpft. Um es aus den Tiefen des Berges zu holen, ist mühselige
technische Arbeit vonnöten, der die Zeit und das Land noch nicht gewachsen
ist. Und so kommt die Wendung: Vila Rica wird Vila Pobre, eine arme Stadt.
Die Goldwäscher von gestern, verarmt und verbittert, ziehen ab mit ihren
Maultieren und Eseln und Negern und ihrer kärglichen Habe, die Lehmhütten
der Sklaven, zu Tausenden über die Hügel verstreut, werden weggeschwemmt
vom Regen oder verfallen. Die Dragoner reiten weg, denn sie haben nichts
mehr zu bewachen, die Casa de Fundação hat nichts mehr zu schmelzen, der
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197