Page - 78 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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zeigen und zu bewähren.
Aber wer einmal das Gefühl der Freiheit kennen- und lieben gelernt hat,
der hält dann nicht mehr ein, ehe er nicht die volle, die schrankenlose Freiheit
erlangt. Selbst dies gelockerte Band, das das neue Königreich mit dem alten
jenseits des Ozeans verbindet, empfindet es als Hemmung und Bedrückung.
Und erst, wie es sich 1822 selber zum Königreich krönt, beginnt seine wahre
Unabhängigkeit.
Oder vielmehr, sie könnte beginnen. Denn nur im politischen Sinne gelingt
es Brasilien, sich seine Unabhängigkeit zu erkämpfen, nicht aber im
wirtschaftlichen. Im Gegenteil, bis tief in die Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts gerät Brasilien eigentlich in schwerere ökonomische
Abhängigkeit von England und den anderen Industriestaaten, als es vordem
von Portugal gewesen. Brasilien hat – in seiner Entwicklung gehemmt durch
die Verbote Lissabons – die industrielle Revolution verschlafen, die zu Ende
des achtzehnten Jahrhunderts unsere Welt durchgreifend zu verändern
begann. Bisher konnte es in der Lieferung seiner Kolonialprodukte jede
Konkurrenz überwinden durch die Billigkeit seiner Arbeitskräfte, durch die
Sklaverei, und im wirtschaftlichen Sinn den ersten Rang unter allen
amerikanischen Kolonien behaupten. Noch zur Zeit der
Unabhängigkeitserklärung war es im Export gegenüber Nordamerika führend
gewesen und hatte in seinen Absatzziffern in manchen Jahren sogar
diejenigen Englands erreicht. Aber im neuen Jahrhundert ist ein neues
Element in die Weltwirtschaft eingebrochen: die Maschine. Eine einzige
Dampfmaschine in Liverpool oder Manchester leistet jetzt, von einem
Dutzend Arbeiter bedient, mehr als hundert und bald tausend Sklaven in der
gleichen Zeit, Handindustrie kann von nun an gegen organisierte
Fabrikindustrie auf die Dauer ebensowenig ankämpfen, wie nackte
Eingeborene mit ihren Pfeilen gegen Maschinengewehre und Kanonen.
Dieses an sich schon verhängnisvolle Zurückbleiben gegen das Tempo der
Zeit wird noch vermehrtdurch ein besonderes Mißgeschick. In dem
gewaltigen und fast vollständigen Katalog seiner Erze und Gesteine fehlt
gerade jener Kraftstoff, der für das neunzehnte Jahrhundert als motorische
Substanz entscheidend ist: die Kohle.
Brasilien hat in diesem entscheidenden Augenblick der Transport- und
Kraftumstellung auf diese neue dynamische Substanz in seinem
unübersehbaren Territorium nicht eine einzige Kohlengrube. Jedes
Kilogramm muß viele Wochen weither verfrachtet und mit dem in seinem
Wert rapid absinkenden Zucker überteuert bezahlt werden. Dadurch wird
jeder Transport unrentabel, und durch die gebirgige Struktur des Landes
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197