Page - 79 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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verzögert sich der Bau von Eisenbahnen überdies noch um unersetzbare
Jahrzehnte und setzt auch dann noch nur unzulänglich ein. Während sich der
Umschlagrhythmus von Ware und Verkehr in den europäischen und
nordamerikanischen Staaten von Jahr zu Jahr verzehnfacht, verhundertfacht,
vertausendfacht, wehrt sich in Brasilien die Erde, Kohle herzugeben,
stemmen sich die Berge und krümmen sich die Flüsse, als wollten sie sich
weigern gegen das neue Jahrhundert. Bald zeigt sich das Resultat: von
Jahrfünft zu Jahrfünft bleibt Brasilien immer mehr zurück in der modernen
Entwicklung, und besonders der Norden mit seinen schlechten
Verkehrsmitteln gerät in einen später kaum mehr aufzuhaltenden Verfall. Zu
einer Zeit, da Schienenstränge in dreifachem und vierfachem Gürtel schon die
Vereinigten Staaten von Osten nach Westen, von Süden nach Norden
verbinden, sind hier auf einem gleich großen Terrain neun Zehntel des Landes
Meilen und Meilen weit von jeder Schienenspur, und während den
Mississippi und den Hudson und den San Lorenzo ständig die neuen
Dampfboote auf- und niederfahren, erblickt man nur selten am Amazonas und
São Francisco den Rauch eines Schornsteins. So kommt es, daß zu einer Zeit,
da in Europa und Nordamerika die Kohlenminen und Eisenwerke, die
Fabriken und Verkaufszentren, die Städte und die Häfen mit immer
geringerem Zeitverlust zusammenarbeiten und sich die Potenz und
Schlagkraft der Massenproduktion von Jahr zu Jahr übersteigert, Brasilien bis
tief ins neunzehnte Jahrhundert bei den Methoden des achtzehnten, des
siebzehnten und sechzehnten ohnmächtig stehenbleibt, immer nur dieselben
Rohstoffe liefernd und dadurch im Absatz seiner Fertigwaren der Willkür des
Welthandels wehrlos ausgeliefert.
So fällt und verfällt die Handelsbilanz; Brasilien tritt als dominierender
Faktor aus der vordersten Reihe Amerikas in die zweite oder dritte zurück,
und sein Wirtschaftsbild entbehrt zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
nicht einer gewissen Perversität. Denn gerade das Land, das mehr Eisen
besitzt als vielleicht irgendein anderes der Erde, muß jede Maschine, jedes
Werkzeug vom Ausland importieren. Obwohl es Baumwolle auf seinem
Boden in unbeschränkter Fülle erzeugt, muß es den gewebten, den bedruckten
Stoff aus England einführen. Obwohl seine Waldbestände unermeßlich und
ungefällt sich dehnen, muß es Papier von auswärts kaufen und so jedes
Objekt, das nicht mit unorganisierter, altväterlicher Handarbeit erzeugt
werden kann. Wie immer in Brasilien würden großzügige Investitionen, die
den Betrieb umorganisierten, hier Rettung bringen. Aber Brasilien fehlt es seit
der Stockung des Goldes an Kapital, und so werden seine Eisenbahnen, seine
ersten Fabriken, seine wenigen großzügigen Unternehmungen ausschließlich
von englischen und französischen und belgischen Compagnien eingerichtet
und das neue Kaiserreich als Kolonie anonymer Gruppen aller
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197