Page - 80 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Weltausbeutung ausgeliefert. In einer Zeit, wo der Rhythmus der Bewegung,
die lebendige Durchpulsung des Raums mit schöpferischen Energien für die
volkswirtschaftliche Entwicklung eines Landes entscheidend wird, ist
Brasilien, das noch mit den alten Methoden und mit den alten
Umsatzlangsamkeiten arbeitet, von einem vollkommenen Marasmus bedroht.
Wieder einmal ist seine Wirtschaft bei einem Tiefpunkt angelangt.
Aber es gehört zur Besonderheit seiner Entwicklung, daß dieses Land der
unbegrenzten Möglichkeiten jede seiner Krisen immer wieder durch eine
plötzliche Umstellung überwindet, indem es, sobald sein Hauptexportartikel
versagt, sich einen neuen und noch ergiebigeren findet. Wie das siebzehnte
Jahrhundert durch den Zucker, das achtzehnte durch das Gold und die
Diamanten, so zeitigt auch das neunzehnte ein solches Wunder des
unvermuteten Aufstiegs durch den Kaffee. Nach dem Zyklus des Zuckers, des
weißen Goldes, dem Zyklus des wirklichen Goldes setzt mit dem Kaffee der
Zyklus des braunen Goldes ein, der dann noch für kurze Zeit durch den
Zyklus des flüssigen Goldes, des Gummis, abgelöst wird, und es ist ein
Triumphzug ohnegleichen. Denn mit dem Kaffee erschafft sich während des
ganzen neunzehnten Jahrhunderts und bis in das zwanzigste hinein Brasilien
ein absolutes Weltmonopol: wieder sind es die alten und so typischen
Faktoren, die Ergiebigkeit der Erde, die Leichtigkeit der Anpflanzung, die
Primitivität des Produktionsprozesses, die diesen neuen Artikel gerade
Brasilen besonders gemäß machen. Die Kaffeebohne kann nicht mit
Maschinen gepflanzt, nicht von Maschinen geerntet werden. Hier allein leistet
der Sklave noch mehr als das eiserne Schwungrad. Und abermals ist es wie
beim Zucker, beim Kakao, beim Tabak ein Qualitätsartikel, der an die
verfeinerten Geschmacksnerven appelliert – eigentlich das notwendige
Komplementprodukt zu diesen beiden früheren, denn als köstlicher Nachtisch
bilden diese drei, die Zigarre, der Zucker, der Kaffee das ideale Trifolium.
Immer ist es seine Sonne und der Saft, die Kraft seiner Erde, die Brasilien
retten. Was in der alten Heimat schon köstlich war, wird noch köstlicher auf
dieser neuen Erde; nirgends gedeiht der Kaffee so üppig und mit solchem
Aroma wie in dieser subtropischen Zone. Schon die früheren Jahrhunderte
hatten diese Bohnen und ihre stimulierende Kraft gekannt. Aber wie der
Kaffee 1730 ins Gebiet des Amazonas und 1762 nach Rio de Janeiro
hinübergepflanzt wird, gilt er noch als Luxusartikel, und sein Absatz kann
demgemäß für die Wirtschaft nicht entscheidend sein; in den statistischen
Tabellen erscheint er zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts noch in den
Quanten und wertmäßig weit hinter der Baumwolle, dem Leder, dem Kakao,
dem Zucker und dem Tabak. Genau wie bei seinen älteren Brüdern, dem
Tabak und dem Zucker, hilft erst die steigende, in immer breitere Schichten
Europas und Nordamerikas eindringende Gewöhnung an dieses wundervolle
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197