Page - 86 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Negerimport in der Hautfarbe immer dunkler, immer afrikanischer zu werden
drohte, hellt sich sichtbar wieder auf, und das europäische Element steigert im
Gegensatz zu den primitiv herangewachsenen, analphabetischen Sklaven das
allgemeine Zivilisationsniveau. Der Italiener, der Deutsche, der Slawe, der
Japaner bringt aus seiner Heimat einerseits eine völlig ungebrochene
Arbeitskraft und Arbeitswilligkeit, anderseits Forderung eines höheren
Lebensstandards mit. Er kann lesen und schreiben, er ist technisch geschult,
er arbeitet in rascherem Rhythmus als die Generation, die durch Sklavenarbeit
verwöhnt und vielfach durch das Klima in ihrem Leistungsvermögen
geschwächt ist. Instinktiv suchen die Einwanderer überall jene Gegenden, die
sie dem heimischen Klima und den alten Lebensformen ähnlich finden, und
so sind es vor allem die südlichen Provinzen von Rio Grande do Sul, Santa
Catarina, die von diesem neuen Zyklus des »lebendigen Goldes« belebt
werden. Der Zyklus der Immigration bedeutet für die Städte und das Gebiet
von São Paulo, Porto Alegre und Santa Catarina, was einst der Zucker für
Bahia, das Gold für Minas Gerais, der Kaffee für Santos gewesen: den
entscheidenden Anschwung, der dann aus weiterwirkender Kraft
Wohnstätten, Arbeitsmöglichkeiten, Industrien und Kulturwerte schafft. Und
gerade weil dies neue Material aus den verschiedensten Zonen der Welt
stammt – Italiener, Deutsche, Slaven, Japaner, Armenier – kann Brasilien
seine alte Kunst der Mischung und gegenseitigen Anpassung auf das
glücklichste bewähren. Mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit ordnen sich
dank der besonderen assimilatorischen Kraft dieses Landes die neuen
Elemente ein, und die nächste Generation wirkt schon selbstverständlich und
gleichberechtigt mit an dem alten Ideal des Anfangs: einer in einer einzigen
Sprache und Denkweise verbundenen Nation.
Dieser Aufschwung, den die Immigration der letzten fünfzig Jahre bewirkt
hat, ist der eigentliche Dank für die moralische Tat der Sklavenbefreiung. Der
Einschuß von vier oder fünf Millionen Europäern um die Jahrhundertwende
stellt einen der größten Glücksfälle in der Geschichte Brasiliens dar und zwar
einen doppelten Glücksfall. Einen doppelten Glücksfall erstens, weil diese
starken, gesunden Kräfte so reich und so quellend ins Land kommen, und
zweitens, daß ihr Kommen gerade im richtigen historischen Moment einsetzt.
Wäre eine Immigration solchen Umfangs, wären solche Millionenmassen von
Italienern und Deutschen ein Jahrhundert früher eingeströmt, da die
portugiesische Kultur nur eine dünne Schicht bedeckte, so hätten diese
fremden Sprachen und Eigensitten einzelne Provinzen besetzt und ergriffen,
große Teile des Landes hätten sich endgültig italianisiert oder verdeutscht.
Hätte anderseits die Hauptimmigration, die Massenzuwanderung sich nicht in
dieser noch kosmopolitisch gesinnten Epoche, sondern in unserer Zeit des
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197