Page - 92 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Gesundung des Landes geleistet hat. Die Syphilis, die hier Erbkrankheit
gewesen, und von der man so selbstverständlich sprach wie von einem
Schnupfen, ist durch die eine Erfindung Professor Ehrlichs soviel wie
ausgerottet, und es ist kein Zweifel, daß auch den anderen Krankheiten die
wissenschaftliche Hygiene in absehbarer Zeit scharf auf den Leib rücken
wird. So wie Rio de Janeiro, noch vor einem Jahrzehnt die gefürchtetste
Brutstätte des gelben Fiebers, heute eine der im sanitären Sinne sichersten
Städte der Welt geworden ist, wird die Wissenschaft hoffentlich den schwer
gefährdeten Norden von seinen Miasmen und Plagen zu befreien wissen und
den durch Fieber und Unterernährung in seiner Leistungskraft bedrohten Teil
der Bevölkerung in das aktive und produktive Leben einschalten. Wo man vor
fünf Jahren von Rio de Janeiro bis Belo Horizonte sechzehn Stunden
brauchte, saust heute das Flugzeug in anderthalb Stunden; in zwei Tagen kann
man statt vordem in zwanzig im Herzen der Wälder des Amazonas, in
Manaus, sein, ein halber Tag bringt einen nachArgentinien, zweieinhalb Tage
nach Nordamerika, zwei Tage nach Europa, und all diese Zahlen gelten bloß
für heute; morgen wird sich der aeronautische Fortschritt wahrscheinlich
schon halbiert haben. Die Bewältigung seines riesigen Raums, die Crux, diese
Hauptschwierigkeit des brasilianischen Wirtschaftsproblems, ist theoretisch
eigentlich schon gelöst und in praktischer Überwindung begriffen; wer weiß
zu sagen, ob nicht auch die Schwierigkeit der Transporte in knapper Frist
schon überwunden sein wird durch eine neue Art der Luftschiffe und andere
Erfindungen, für die sich unsere Phantasie heute noch als zu arm und zu
ängstlich erweist. Auch der anderen, scheinbar unüberwindbaren Hemmung,
der unzulänglichen Arbeitsleistung in dem tropischen Klima, das die
individuelle Energie vermindert und die körperliche Frische bedroht, beginnt
die Technik entschlossen auf den Leib zu rücken. Was heute noch wenigen
Luxusstätten vorbehalten ist, die Luftkühlung der Wohnungen und Büros,
wird hier in einigen Jahren so allgebräuchlich und selbstverständlich sein, wie
in unseren kälteren Zonen die Zentralheizung. Wer sieht, was hier geleistet
worden ist, und zugleich weiß, was hier noch zu leisten ist, für den ist es
gewiß, daß die Überwältigung aller Schwierigkeiten nur eine Frage der Zeit
ist. Aber man vergesse nicht, daß die Zeit in sich selbst kein einheitliches
Maß mehr ist, daß sie sich beschleunigt hat durch den Antrieb der Maschine
und den noch großartigeren Organismus des menschlichen Geistes. Ein Jahr
unter der Ära Getúlio Vargas’ kann heute, 1940, mehr leisten wie ein
Jahrzehnt unter Dom Pedro II., 1840, und ein Jahrhundert vorher unter einem
König João. Wer heute das Tempo sieht, in dem hier die Städte wachsen, die
Organisation sich verbessert, die potentiellen Kräfte sich in faktische
umwandeln, der fühlt, daß – ganz im Gegensatz zu vordem – die Stunde hier
mehr Minuten hat als bei uns in Europa. Aus welchem Fenster man blickt,
überall wächst ein Haus, an jeder Straße und weithin am Horizont sieht
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197