Page - 114 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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und die brasilianische Seele spiegeln.
Einen ähnlich typisch brasilianischen Ausdruck des Volkshaften erwartet
man sich in der Malerei von Portinari, dem es als erstem brasilianischen
Maler gelungen ist, sich eine internationale Stellung in wenigen Jahren zu
erobern. Aber wieviel Farbe, wieviel Vielfalt, welche ungeheuren glücklichen
Aufgaben erwarten in dieser großartigen Landschaft noch den Mann, der
ähnlich wie Gauguin für die Südsee, Segantini für die Schweiz die grandiose
Natur dieses Landes der Welt vertraut machen wollte. Welche Möglichkeiten
eröffnen sich hier der Architektur in diesen mit fiebriger Geschwindigkeit
wachsenden Städten, die immer stärker den Willen offenbaren, nicht mehr
nach europäischem Schema und nicht auch nach dem nordamerikanischen,
sondern in einer persönlichen Form zu gestalten! Viel wird in diesem Sinne
hier versucht und einiges Wesentliche ist schon erreicht worden.
In der Wissenschaft – einer Materie, wo mir persönlich Überblick und
Wertung durch mangelnde Fachkenntnis versagt ist – haben die letzten Jahre
einen erstaunlichen Fortschritt in der historischen und ökonomischen
Selbstdarstellung des Landes gebracht. Fast alle früheren Dokumente und
Darstellungen Brasiliens waren von Ausländern geschrieben worden. Im
sechzehnten Jahrhundert ist es der Franzose Thévet, der Deutsche Hans
Staden, im siebzehnten der Holländer Berleus, im achtzehnten Jahrhundert
der Italiener Antonil und im neunzehnten Jahrhundert der Engländer Southey,
der Deutsche Humboldt, der Franzose Debret und der von Deutschen
abstammende Varnhagen, denen man die eigentlich klassischen Darstellungen
des Landes dankt. Aber in den letzten Jahrzehnten sind es die Brasilianer, die
sich der Aufgabe angenommen haben, ihr Land und seine Geschichte auf
Grund sorgfältigster Quellenstudien verständlich zu machen, und zusammen
mit den sehr gründlichen Publikationen der Regierung und der einzelnen
Staaten umfaßt diese Literatur schon allein eine ganze Bibliothek. In der
Philosophie ist als merkwürdigstes Phänomen zu verzeichnen, daß der
Positivismus Auguste Comtes hier eine Schule und sogar eine Kirche
gegründet hat; ein gut Teil der brasilianischen Staatsverfassung ist von den
Formeln und Anschauungen des französischen Philosophen durchsetzt, der
hier ungleich mehr als in seinem Heimatland Einfluß auf das reale Leben
genommen hat. Auf dem Gebiet der Technik wiederum hat vor allem der
Aeronaut Santos Dumont unsterblichen Ruhm gewonnen durch seinen ersten
Flug um den Eiffelturm und seine Konstruktionen von Aeroplanen, die in
ihrer Kühnheit und Tatkraft den entscheidenden Anstoß zum Erfolg gaben. Ist
der Prioritätsstreit heute auch noch immer im Gang, ob er es war oder die
Brüder Wright, die zum erstenmal den Flug des Menschen in einem Flugzeug
verwirklichten, das schwerer war als die Luft, so meint diese Frage eigentlich
nur, ob Santos Dumont an zweifellos erster oder schlimmstenfalls bloß an
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197