Page - 122 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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und hĂ€lt ein gewaltiges Kreuz, (das nachts elektrisch erglĂŒht) ĂŒber Rio de
Janeiro segnend erhoben wie ein Priester die Monstranz ĂŒber eine hingekniete
Schar.
Jetzt endlich gewahrt man, nachdem man das Gewirr der Inseln
durchfahren, die Stadt. Aber nicht auf einmal gewahrt man sie. Nicht wie
etwa in Neapel, in Algier, in Marseille tut sich dies HĂ€userpanorama wie eine
offene Arena mit steigenden Steinstufen einem einzigen Blick auf; Bild um
Bild, Teil um Teil, Prospekt nach Prospekt blÀttert sich Rio de Janeiro auf wie
ein FÀcher, und gerade dies macht die Einfahrt so dramatisch, so unablÀssig
ĂŒberraschend. Denn jede der einzelnen besiedelten Buchten, deren Summe
erst ihren Strand ergibt, ist durch Bergketten getrennt â es sind gleichsam die
Rippen des FĂ€chers, die hier jedes Bild vereinzeln und doch zusammenhalten.
Endlich zeigt sich der geschwungene Strand, bezaubernder Anblick: eine
weite Strandpromenade, von den Wogen stÀndig beschÀumt, mit HÀusern und
Villen und GĂ€rten, deutlich unterscheidet man schon das Luxushotel und
ansteigend die HĂŒgel empor die waldumrandeten Villen â aber Irrtum! Es ist
nur der Strand von Copacabana gewesen, einer der schönsten der Welt, nur
eine neue Vorstadt, nicht die eigentliche Stadt. Noch muĂ man den PĂŁo de
AçĂșcar, den Zuckerhut, umsteuern, der den Blick sperrt, dann erst sieht man
die Stadt in der Bucht, dicht und weiĂ vorblickend zum Strand und wirr sich
auflösend in die begrĂŒnten Höhen. Man sieht die neuangelegten StrandgĂ€rten
und den Flugplatz, der eben dem Meer abgewonnen war: gleich wird man
landen und seiner Ungeduld GenĂŒge tun. Aber nein! Es war wiederum ein
Irrtum und dies nur die Bucht von Botafogo und Flamengo, nochmals muĂ
das Schiff weiter steuern, noch ein anderes Blatt dieses göttlichen, in allen
Farben leuchtenden FÀchers aufgeblÀttert werden, noch muà man vorbei an
der Marineinsel und jener kleinen mit dem gotischen Palast, wo Kaiser Pedro
zwei Tage vor seiner Absetzung ahnungslos den letzten Ball gegeben. Und
jetzt erst grĂŒĂen die TurmhĂ€user, eine einzige vertikale Masse, jetzt erst
zeigen sich die Docks, jetzt erst kann das Schiff anlegen und man ist in
SĂŒdamerika, ist in Brasilien, ist in der schönsten Stadt der Welt!
Diese einstĂŒndige Einfahrt in Rio ist ein Erlebnis einziger Art und in ihrem
unwiderstehlichen Eindruck nur jener in New York zu vergleichen. Aber New
York grĂŒĂt hĂ€rter, energischer: wie ein nordischer Fjord wirkt es mit seinen
aufgetĂŒrmten eisweiĂen Kuben. Manhattan ist ein mĂ€nnlicher, heroischer
GruĂ, der steil aufgestoĂene menschliche Wille Amerikas, ein einziger
Ausbruch zusammengefaĂter Kraft. Rio de Janeiro aber bĂ€umt sich einem
nicht entgegen â es breitet sich auf mit weichen, weiblichen Armen, es
empfÀngt in einer weit ausgespannten zÀrtlichen Umarmung, es zieht an sich
heran, es gibt sich mit einer gewissen Wollust dem Blicke hin. Alles ist hier
Harmonie, die Stadt und das Meer und das GrĂŒn und die Berge, all das flieĂt
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- GĂ€rten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen GoldstÀdten 167
- Flug ĂŒber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197