Page - 131 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Kulisse fern aufsteigenden Gebirges.
Schon glaubt er alles umfaßt zu haben, dieser erste Blick, die ganze
panoramische Schau, aber wie wenig erst hat er gesehen, wieviel erwartet ihn
noch! Nach der Praça Paris verengert sich die Straße und drückt sich näher
ans Meer als Avenida Beiramar und wird zur Praia do Flamengo. Hier waren
früher die vornehmen alten Residenzen und blickten zwischen Gärten
bescheiden aus einem ersten oder zweiten Stockwerk auf den Strand. Aber
der Platz mit diesem freien Blick und der kühlenden Brise war zu kostbar. Elf
und zwölf Stock hoch steigen jetzt in steiler zementener Front die Häuser
empor, und die Riesenpalmen, die den früheren Gebäuden die Dächer
beschirmten, reichen den neuen kaum mehr bis zu ihrer Brust. Der Blick auf
die Bucht wird allmählich enger, denn gegenüber steht stolz – und nachts mit
einer Lichtkrone geschmückt – der Pão de Açúcar, der Zuckerhut, ein
mächtiger Fels, der den Eingang zur Bucht bewacht, und vor dem jedes Schiff
demütig vorüberziehen muß, das in den Hafen will. Und wieder eine Wende,
eine Kehre, und man ist in einer anderen Bucht, der von
Botafogo. Verschwunden die freie Vista, man glaubt an einem von Bergen
umstandenen See zu sein zwischen anderen Bergen und Hügeln als vordem,
denn dies gehört zum landschaftlichen Geheimnis von Rio, daß seine Berge
dank ihrer unregelmäßigen Formung von jedem Winkel aus gesehen eine
andere Silhouette zeigen; was von Botafogo aus gesehen schroff wirkt, ist
vom Flamengo aus gesehen lind, die eine Fläche desselben Felsens grün
bewaldet, die andere nacktes Gestein, die dritte von Häusern bis zum Gipfel
bestanden, und ebenso ändert durch das unablässige Zickzack die Bucht bei
jeder Wendung ihre Konturen. In dieser Stadt der Vielfältigkeit wirkt dasselbe
Meer, dasselbe Gebirge infolge der unbeschreiblichen Varietät der Ausblicke
immer neu und überraschend. Statt dasselbe wiederzufinden, entdeckt man
sich alles hier immer wieder von Anfang an.
Und wieder zwei Straßen, und man ist unvermutet in einer anderen Bucht,
der Praia Vermelha, die so versteckt in einem Engpaß zwischen den Felsen
liegt, so abseits von den Wohnvierteln, daß ich Wochen brauchte, um sie zu
finden. Und plötzlich ist alles wieder anders. Verschwunden die Stadt,
verloren der Ausblick auf die Bucht. Keine Luxushäuser, kein Verkehr, keine
Geschäftigkeit, nur Wellen und Fels und Strand und Stille. Unwillkürlich hat
man das Gefühl, man sei am Ende seines Wegs, am Ende der Stadt.
Aber man ist nur bei einem neuen Anfang, bei einem der vielen Anfänge,
mit denen diese Stadt immer wieder überraschend beginnt. Nur eine Straße
und ein Tunnel durch den scheinbar weglosen Felsen, und man findet sich
plötzlich am Badestrand von Copacabana, diesem Super-Nizza, diesem
Super-Miami, an dem vielleicht schönsten Strande der Welt. Unglaubhaft wie
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197