Page - 134 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Strande, der Praia da Tijuca, die Grundstücke ausgemessen; wo Sand weiß
und weich einem jetzt den Schuh füllt, wird bald eine neue Häuserfront sich
gegen das Meer stellen – wer kann sagen, wo Rio enden wird, wo es wirklich
innehält.
Und wieder eine Kehre und wieder eine andere Welt. Der Wagen klettert in
steilen Kehren den Berg hinauf, für eine Viertelstunde ist man im Urwald;
kaum ein Haus, bestenfalls ein paar Hütten, halb von Palmen verdeckt, in
denen die Neger hausen. Schon beginnt man zu vergessen, daß man doch nur
einen einstündigen Ausflug innerhalb der Stadtgrenze unternommen, und man
hat das Gefühl, in dieser Zeit sich um Meilen und Meilen entfernt zu haben.
Aber plötzlich an einer Kehre blickt man hinab, und da liegt sie wieder, die
Stadt! Ganz anders liegt sie da, weil von einer anderen Seite gesehen, man
erkennt sie und erkennt sie doch nicht. Und welchen Weg immer man nun
nimmt, höher noch aufsteigend zu der Vista Chinesa, der Mesa do Imperador
oder rückkehrend durch Tijuca, diesen alten aristokratischen Villenort, überall
verschieben sich die Perspektiven; ein fotografischer Apparat verbrauchte
zehn Dutzend Filmstreifen, um nur die überraschendsten dieser Aspekte
festzuhalten. Und dann ist man wieder in der Stadt, man weiß nicht aus
welcher Richtung und in welche Richtung – nach Monaten findet man sich
noch nicht zurecht – und wieder auf neuen Boulevards, etwa dem
palmenbestandenen der Mangue oder vorbei am Jardim Botânico oder auf der
parkhaften Praça da República. In ein oder zwei Stunden hat man nicht nur
eine Stadt sondern eine Welt umschwungen und steht, noch sanft taumelig,
inmitten des farbigen Tumults der Menschen und Geschäfte: die eine dieser
südländischen Straßen erinnert an die Cannebière von Marseille, die andere,
steil die Hügel hinan, an Neapel, die tausend Kaffeehäuser mit heiter
schwatzenden Männern an Barcelona oder Rom, die Lichtspielhäuser mit
ihren Reklamen und die Hochhäuser an New York. Man ist zugleich überall
und weiß doch an jenem einzigartigen Zusammenklang: man ist in Rio.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197